Papierfabrik Cham, Die Ära Naville 1912–1970

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Die Epoche ab 1912 trägt den Namen derjenigen Person, welche für diese Jahrzehnte prägend war: Robert Naville-Vogel. Er führte die Papierfabrik Cham erfolgreich durch zwei Weltkriege, durch zwei Weltwirtschaftskrisen, aber auch durch die Hochkonjunktur.


Chronologie

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Fast vollendet: der neue Fabrikbau für die Papiermaschine PM 3 entlang der Lorze, undatiert (um 1912/1913)


1912 Nach dem Tod von Besitzer Carl Vogel-von Meiss (1850–1911) wird aus der Familienfirma Papierfabrik Cham eine Aktiengesellschaft, die Papierfabrik Cham AG. Die Direktion teilen sich Vogels Schwiegersöhne Robert Naville-Vogel (1884–1970) und Leo Bodmer-Vogel (1880–1961). [1] Der bisherige Direktor Hermann Guggenbühl muss seinen Posten aufgeben und übernimmt später bis Papierfabrik Balsthal SO. [2]

1913 Die neue Leitung investiert kräftig: Sie erstellt einen neuen Fabrikbau für den Holländer und einen Neubau für die Papiermaschine PM 3 mit einer neuartigen Arbeitsbreite von 225 Zentimetern. Dadurch ist eine Verdoppelung der Produktionsleitung möglich. [3]

1917 Trotz Erstem Weltkrieg und zeitweiligen Produktionsunterbrüchen geht die Expansion weiter: Die «Papieri» erstellt einen Neubau für die Holzschleiferei, führt eine Materialbuchhaltung ein und beschafft den ersten Firmenlastwagen. [4]

Die Arbeiterschaft erreicht durch Verhandlungen eine Arbeitszeitreduktion um eine Stunde täglich, Lohnerhöhungen und Teuerungszulagen. [5]

1918 Um den Wachstumskurs zu finanzieren, erhöht die Papierfabrik das Aktienkapital auf 2,4 Millionen Franken. [6]

1919 Der technische Direktor Albert Schlatter (1887–1962) bekommt die anspruchsvolle Aufgabe zugewiesen, die 48-Stunden-Woche einzuführen, was Umstellungen aller Schichtpläne und damit auch der Produktion nach sich zieht. [7]


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Die 31 Tonnen schwere Elektrolokomotive: neben der Lokrampe auf dem Fabrikgelände, undatiert (vor 1930)


1920 Die Papierfabrik bekommt einen eigenen Gleisanschluss: Das «Papieri-Bähnli» ersetzt die Transporte mit den Pferdefuhrwerken. [8]

1924 Die Arbeitszeit wird von 48 auf 52 Stunden pro Woche verlängert. Die Arbeiter wollen gegen die Massnahme streiken, aber weil sie keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, lassen sie es bleiben. [9]

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Auf der 1924 entstandenen Flugaufnahme von Walter Mittelholzer (1894–1937) erkennt man das Papieriareal, noch umgeben von weitläufigen Obstbaumgärten, 1924


1926 Die Papierfabrik gründet als Tochterfirma die Pavag AG. Diese stellt Säcke aus Kraftpapier her. [10]

1927 Die Angestellten der Papierfabrik erhalten eine Arbeitslosenversicherung, deren Leitung paritätisch mit Vertretern der Firmenleitung und der Arbeiterschaft besetzt wird. Gleichzeitig erstellt die Papierfabrik die Siedlung Mööslimattstrasse, mit sechs Reihen-Einfamilienhäusern mit je drei Zimmern und vier Reihen-Einfamilienhäusern mit je vier Zimmern. [11]

1929 Die Zeit der Doppeldirektion bei der Papierfabrik Cham geht zu Ende. Leo Bodmer gibt den Direktorenposten in Cham ab und beschränkt sich auf das Verwaltungsratspräsidium. Dafür kehrt er zur BBC zurück, wo er Direktor wird. [12] Robert Naville ist nun alleine für die Geschicke der «Papieri» verantwortlich. Er treibt gleich die Expansion ins Ausland voran: Die Papierfabrik kauft die Papeteries de Bretagne im französischen Rennes und die Papierfabrik Gemmrigheim im deutschen Neckartal. [13]

1932 Bei der Herstellung des Holzschliffs fallen in der Papierfabrik Cham viele Abfälle an. Die «Papieri» führt diese einer neuen Verwendung zu. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind auch in der Schweiz zu spüren, so dass die Papierfabrik nun ihre Holzabfälle nutzen und verwerten muss, indem sie daraus Holzplatten formt. Die ersten Platten entstehen am 17. November. Sie erhalten den Namen Pavatex. [14] Zudem gründet die «Papieri» als Tochterfirma die Valorit AG in Cham, die «Fabrik für Verpackungen und Cartonnage». [15]

1934 Um sich weiter zu stärken, beteiligt sich die Papierfabrik Cham finanziell an der Buntpapierfabrik Herisau AR. [16]

1935 Unter der Führung von Robert Naville etabliert sich die Papierfabrik als soziale Arbeitgeberin: Sie gründet die betriebseigene Pensionskasse. Zwei Jahre später folgt die Gründung der Depositenkasse, einer Art Kleinbank für die Papieri-Angestellten. [17]

1937 Die Papierfabrik feiert 25 Jahre Aktiengesellschaft und erwirbt die Lizenz für das amerikanische Massey-Verfahren. Dieses erlaubt die Herstellung von gestrichenem Papier direkt auf der Papiermaschine. [18]

1941 Im Alter von 28 Jahren übernimmt Papierfabrikerbe Robert E. Naville (1913–2006) – der Sohn von Firmenleiter Robert Naville-Vogel – die Firma Myco AG in Cham. Diese stellt Becher und Dosen aus Papierstoff her. Damit legt Naville junior den Grundstein für eine weitere Anwendung des Papierer-Wissens zugunsten einer neuen Produktepalette der Papierfabrik. [19]

1942 Trotz Zweitem Weltkrieg investiert die Papierfabrik. Sie kauft eine vierte, moderne Papiermaschine mit einer Arbeitsbreite von 320 Zentimetern. Damit kann die Papierfabrik innert 24 Stunden auf vier Maschinen Papier herstellen. Die Jahresproduktion steigt auf mehr als 12 Tonnen. [20]


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Die neue Papiermaschine PM 4, 1943


1946 Nach den unruhigen Kriegsjahren mit vielen Angestellten im Aktivdienst und Rohstoffmangel ordnet die Papierfabrik ihre Beteiligungen: Die Beteiligung an der Buntpapierfabrik Herisau verkauft sie, dagegen gründet sie die Fibres SA in Fribourg, um dort Pavatexplatten herstellen zu können [21]

1947 Um liquid zu bleiben, erhöht die Papierfabrik Cham AG ihr Aktienkapital auf drei Millionen Franken. Die Firma entwickelt und verkauft erste Produkte mit dem Namen Aerofiber. Es handelt sich dabei um eine Art Kunststoff aus leimgetränkten Papierbahnen, beispielsweise für die Herstellung von Koffern. [22]

1948 Die Pavag AG braucht mehr Platz. Sie erstellt einen Neubau in Nebikon LU und zügelt 1949 dorthin. Die Papierfabrik bleibt die Besitzerin, stellt aber nicht mehr die ganzen Säcke, sondern nur noch das Sackpapier her. [23]

1950 Für die weitere Expansion erhöht die Papierfabrik ihr Aktienkapital von drei auf fünf Millionen Franken. [24]


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Holzplatz der Tochterfirma Pavatex, 1952


1958 Die Papierfabrik investiert in den Maschinenpark. Sie entscheidet sich für den Einbau einer fünften Papiermaschine, der PM 5. [25]

1959 Robert Naville-Vogel übernimmt jetzt neben der Geschäftsführung der Papierfabrik auch noch das Präsidium des Verwaltungsrats. [26]

1961 Naville-Vogel ist 77 Jahre alt. Er gibt den Posten des Generaldirektors der Papierfabrik nach 49 Jahren ab, an seinen Sohn Raoul Naville (1912–1999). Im Verwaltungsrat bleibt er weiterhin. [27]

1964 Mittlerweile 80-jährig, demissioniert Naville als Präsident des Verwaltungsrats der Papierfabrik Cham. Er wird zum Ehrenpräsidenten ernannt. Obwohl ab diesem Zeitpunkt im Ruhestand, interessiert sich Naville «weiterhin für die grossen und kleinen Probleme der Papieri» und nimmt Anteil am «Schicksal jedes einzelnen dieser grossen Familie, sei es jung oder alt, aktiv oder pensioniert, Manns oder Frau, Schweizer oder Ausländer». [28] Anders gesagt: Das Loslassen fällt dem Patron schwer. Im November gibt es eine Aussprache zwischen Generaldirektion und Verwaltungsrat – und es kommt zum Eklat: Raoul wird als Generaldirektor abgesetzt, unter anderem von seinem eigenen Vater Robert Naville-Vogel. [29]


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Luftaufnahme des Areals der Papierfabrik, im Hintergrund links der 1965 erstellte Neubau der Pavatex an der Knonauerstrasse, 1966


→ zur Chronologie Die Phase der Pioniere 1657–1911

→ zur Chronologie Der Umbruch 1971–2015

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Das Lied

Der technische Direktor Albert Schlatter verfasste den Text zum «Papierilied», das zur Melodie «Drunten im Unterland» passte:

«Drunten am Lorzenstrand
Rauchet ein Fabrikkamin.
Da leuchten die Fenster hell,
Dort kreisen Räder schnell,
Da wird bei Tag und Nacht
Immerfort Papier gemacht.

(…)
Drum gebt mit Herz und Hand,
Ihr Papierileut’ bekannt:
W
ir lieben unser Cham
Mit allem Drum und Dran,
Da wird bei Tag und Nacht
Immerfort Papier gemacht.» [30]


Personen


Filmdokument

Die Papierfabrik Cham investiert in den Umweltschutz, Beitrag in der Sendung «Antenne», Schweizer Fernsehen, 03.07.1963


Einzelnachweise

  1. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 45, 67
  2. Arnet, Edwin, Stadlin, Paul, Die Geschichte der Papierfabrik Cham, in: Festgabe Robert Naville zum 60. Geburtstag, Cham 1944, S. 170
  3. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 68
  4. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  5. Berner Tagwacht, 09.01.1917
  6. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  7. Hauszeitung Papierfabrik Cham AG, Nr. 5, 1962, S. 10
  8. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  9. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  10. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  11. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  12. Morosoli, Renato, «Bodmer, Leo», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.07.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/029533/2014-07-03/, [Stand: 16.05.2023]
  13. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265. Hauszeitung Papierfabrik Cham AG, Nr. 5, 1962, S. 4–9
  14. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 78
  15. Koch, Hans / Nussberger, Paul, Beiträge zur Heimatgeschichte von Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Zollikon 1947, S. 216
  16. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
  17. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265f.
  18. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 83
  19. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 121
  20. Vgl. Anmerkung 2 (Arnet / Stadlin), S. 195
  21. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 266
  22. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 121, 266
  23. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 108
  24. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 266
  25. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 266
  26. Morosoli, Renato, «Naville, Robert», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.07.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/005886/2009-07-08/, [Stand: 16.05.2023]
  27. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 116
  28. Hauszeitung Papierfabrik Cham AG, Nr. 28, 1970
  29. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 116
  30. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 84