Kirchbüel, Quartier
Das Quartier in leicht erhöhter Lage rund um die Pfarrkirche St. Jakob heisst Kirchbühl. Es war einer der beiden Chamer Siedlungskerne und wird im Osten durch die Lorze begrenzt.
Chronologie
12. und 13. Jahrhundert Im Hochmittelalter ist die Chamer Kirche St. Jakob, deren Anfänge möglicherweise ins 7. oder 8. Jahrhundert zurückreichen, das Zentrum einer Grosspfarrei. Deren Einzugsgebiet reicht über die heutigen Kantonsgrenzen hinaus, vom heute zürcherischen Gebiet im Norden bis nach Meierskappel LU im Süden. [1] In unmittelbarer Nähe der Pfarrkirche dürften bereits in dieser Zeit auch einige Wohnhäuser gestanden haben.
1370 Neben der Burg von St. Andreas werden die Dörfer «ze Kilchbül, ze Ennikon, ze beden Kame, ze Rumoltikon und ze Bybersee» erwähnt. [2]
1412 Gleich zweimal wird in Urkunden der «Kilchbül» erwähnt. [3]
1540 Die Nachbarschaft Kirchbühl gehört neben dem Städtli, Lindencham, Friesencham, Rumentikon, Frauenthal und Lehnhöfe, Niederwil, Oberwil, Bibersee und Enikon zu den zehn alten Chamer Nachbarschaften. Die Siedlungen erscheinen in den Schriftquellen als eigenständige Gemeinwesen, als «gmeinden» mit einer gewissen Autonomie und die von Neuzuzügern auch Einzugsgebühren für die Niederlassung verlangen dürfen. In vielen Rechtsfragen hat aber seit dem 15. Jahrhundert der Zuger Stadtrat das letzte Wort. So verbietet er den Kirchbühlern («die von Kilchbüll») Verkäufe ab ihrem Gemeinwerk. [4]
1632–1646 Die vielen Toten der letzten grossen Pestepidemie von 1628/1629 lösen Migrationsbewegungen aus. In den 1630er und 1640er Jahren erscheinen wiederholt Vertreter der Nachbarschaft Kirchbühl beim Zuger Stadtrat und beschweren sich über überlästige fremde Neuzuzüger. [5] Im Oktober 1646 genehmigt der Stadtrat eine Erhöhung der Einzugsgebühren: Zwölf Gulden bezahlen fremden Neuzuzüger, neun Gulden kostet es für Personen aus der Vogtei Cham. Davon gehen drei Gulden an den Zuger Stadtrat. [6]
1647–1651 Der Zuger Stadtrat bewilligt Wirt Adam Schwyzer, das «wirth schilt» des Wirtshauses zum «Raben» vom Städtli auf eine Liegenschaft in die Nachbarschaft Kirchbüel zu ziehen, falls er dort ein Haus kauft. [7] Vier Jahre später vollzieht Schwyzer den Umzug. [8] Damit erhält die Nachbarschaft unweit der Pfarrkirche St. Jakob ein zweites wichtiges öffentliches Gebäude und der Raben ist heute das älteste durchgehend geöffnete Gasthaus im Kirchbühl.
1667 Auf der Zürcher Karte des Kartografen Hans Conrad Gyger (1599–1674) im einem Massstab von ca. 1:32'000 sind nordwestlich der umfriedeten Pfarrkirche rund zehn Liegenschaften erkennbar. Auch wenn der Urheber der Karte ein Zürcher war, dürfte sein Werk der Realität bezüglich Häuserzahl recht nahe gekommen sein.
1695–1697 Auf der Kirchbüeler Allmend – einige hundert Meter vom Siedlungskern entfernt und nördlich der Hünenbergerstrasse – erstellen die Chamer nach der Trennung von den Hünenberger Schützen ihr eigenes Schützenhaus. Das Schützenhaus erfüllt während fast 170 Jahren seinen Zweck, bis es 1865 einem weiter westlich in Enikon gelegenen Neubau weichen muss. [9]
1784–1796 Mitten im Quartier entsteht eine enorm grosse Baustelle: Die alte Pfarrkirche wird unter der Führung des Luzerner Baumeisters Jakob Singer (1718–1788) abgerissen, die neue Kirche an den Turm angebaut. Der Standort der neuen Kirche wird verschoben und um 45 Grad nach Norden abgedreht, so dass der Turm übereck an deren Chor anschliesst. [10] Auch der Kirchenplatz mitten im Siedlungskern wird 1786 umgestaltet: Baumeister Singer lässt das alte Kaplanenhaus, das ursprünglich am Kirchenplatz stand, an die Luzernerstrasse verschieben. Fortan wurde es als Sigristenhaus (Ass.-Nr. alt 3a) genutzt. Zeitnah zu dieser Hausverschiebung und unmittelbar neben dem verschobenen alten Kaplanenhaus liess Singer ein neues Kaplanenhaus (Ass.-Nr. 2a) errichten. Das gemauerte Kaplanen- und das verschindelte Sigristenhaus gehören heute zu den ältesten Liegenschaften im Kirchbühl und schliessen den Kirchenplatz gegen Norden ab.
1824 Das zweite wichtige Wirtshaus im Quartier, der Rote Bären, wird zu einem Waisen-, Armen- und Schulhaus umgenutzt.
1850 Die beiden Nachbarschaften Städtli und Kirchbühl sind bevölkerungsmässig fast gleich gross und bilden das Zentrum von Cham. Hier wohnen 515 Personen, das sind rund 40% der damaligen Chamer Bevölkerung. [11]
Die Bevölkerungsentwicklung im 18. und 19. Jahrhundert
Die ersten Volkszählungen bis und mit derjenigen im Jahr 1850 müssen mit einer gewissen Vorsicht interpretiert werden. [12]
1771 In der ältesten ausführlichen Volkszählung in der Vogtei Cham werden im Kirchbühl 64 Menschen in 12 Liegenschaften erfasst. Im Quartier gibt es 3 Geistliche: Pfarrer Franz Johann Landtwing (1707–1781), Vikar Franz Michael Sidler (1743-1815) und Kaplan Alexander Bütler (1727–1801). Weiter leben 20 Eheleute, 2 Witwer, 3 Witwen, 2 Knechte und 3 Mägde im Quartier, also insgesamt 33 erwachsene Personen. [13] Dazu kommen 31 Kinder, 19 Mädchen und 12 Knaben. Die Volkszählung erfasst auch die Nutztiere im Quartier: Es sind 11 Kühe, 4 Rinder oder Kälber, 1 Schwein und 13 Hühner im Quartier anwesend, wobei 16 dieser 29 Tiere dem Rabenwirt Josef Lutiger gehören. [14]
1781 Interessant ist die grosse Abweichung zur nächsten (privaten) Volkszählung von Pfarrer Josef Martin Spillmann (1748–1827). Er zählt in der Nachbarschaft insgesamt 126 Einwohner (87 Erwachsene, 39 Minderjährige; 118 Ansässige, 8 Fremde) und 16 Stuben (bewohnte Liegenschaften), also doppelt so viele Personen wie die von der Stadt Zug veranlasste Zählung zehn Jahre zuvor. [15]
1850 Gemäss der ersten eidgenössischen Volkszählung leben in der Nachbarschaft 257 Personen in 39 Haushalten und 24 Liegenschaften (das Armen- und Waisenhaus bildet einen Haushalt mit 39 Personen). In jeder Liegenschaft wohnen durchschnittlich 10.7 Personen, in jedem Haushalt durchschnittlich 6.6 Personen. [16]
Namensgebung
Der Name Kirchbüel (Kirchbühl) bezieht sich auf die Pfarrkirche St. Jakob und reicht möglicherweise sogar bis ins frühe Mittelalter (7. oder 8. Jahrhundert?) zurück. Der zweite Wortteil «Büel» bedeutet Anhöhe, Hügel. [17]
Dokumente
Quartierbeschrieb der Einwohnergemeinde Cham, Juli 2003
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Grünenfelder, Josef, Die Pfarrkirche St. Jakob in Cham am Zugersee, Bern 2010, S. 2f.
- ↑ Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG I, Nr. 110, S. 53–55
- ↑ Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG, Nr. 509 und Nr. 1412
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.351, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 78r (28.02.1540)
- ↑ Auswahl: Bürgerarchiv Zug, A 39.27.2.697, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1631–1635, fol. 52f. (17.07.1632); A 39.4.11.318, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1634–1635, fol. 27r (19.01.1635); A 39.26.2.986, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1641–1650 fol. 82v (08.08.1643)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.2.2330, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1641–1650, fol. 182r (27.10.1646)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.2.2768, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1641–1650, fol. 213v (14.12.1647)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.3.454, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1650–1660, fol. 31r (14.10.1651)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.9.1203, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1692–1696, fol. 121v (01.07.1695), A 39.26.9.1214, fol. 122v (09.07.1695)
- ↑ Eggenberger, Peter / Glauser, Thomas / Hofmann, Toni, Mittelalterliche Kirchen und die Entstehung der Pfarreien im Kanton Zug, Zug 2008 (Kunstgeschichte und Archäologie im Kanton Zug 5), S. 171–177. Grünenfelder, Josef, Die Pfarrkirche St. Jakob in Cham am Zugersee, Bern 2010, S. 17f.
- ↑ Glauser, Thomas / Hoppe, Peter / Schelbert Urspeter, 12 Bevölkerungsporträts: eine Auswertung der Volkszählung von 1850, in: Der Kanton Zug zwischen 1798 und 1850, Bd. 2, Zug 1998, S. 116
- ↑ Vgl. Anmerkung 11 (Glauser / Hoppe / Schelbert), S. 7. Morosoli, Renato, Zweierlei Erbe. Staat und Politik im Kanton Zug 1803–1831/47 nach den Erfahrungen von Ancien Régime und Helvetik, Dissertation Universität Zürich, Zug 1991, S. 27–33
- ↑ Erwähnte Geschlechter: Hausheer, Lutiger, Villiger, Meyer, Stuber, Balmer, Gattiker und Baumgartner
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 34.8
- ↑ Pfarrarchiv / Kirchgemeindearchiv Cham, A 1/21
- ↑ Vgl. Anmerkung 11 (Glauser / Hoppe / Schelbert), S. 115
- ↑ Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 1, S. 404