Page-Martinelli Fred (1877–1930)

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Portrait von Page-Martinelli Fred (1877–1930)
Portrait von Page-Martinelli Fred (1877–1930)

Vorname: Fred Harte
Nachname: Page-Martinelli
Geschlecht: männlich
Geburts­datum: 23. Januar 1877
Geburt­sort: Cham ZG
Todes­datum: 9. Januar 1930
Todes­ort: Davos GR
Beruf: Architekt

Fred Harte Page ist ein Chamer Architekt und Direktor, der in Cham, New York und Paris aufwächst. Später wohnt er mit seiner Familie im Schloss St. Andreas in Cham. Er steht zeitlebens als Sohn der prägenden Adelheid und George Page-Schwerzmann etwas im Schatten seiner Eltern.




Mutter Adelheid Page-Schwerzmann (1853–1925) mit Fred, um 1877
Fred Page mit Mutter Adelheid, um 1880
Fred Page als kleiner Junge, um 1880
Adelheid Page setzt sich mit Sohn Fred und Nichte Frida Haab-Sidler (1866–1944) ins Boot eines Fotostudios in Florenz, 1883
Lisina Page-Martinelli (1877–1920), die Frau von Fred Page
Fred Page stirbt im Alter von 53 beim Skifahren


Stationen

1877 Fred Harte Page kommt am 23. Januar zur Welt. Seine Eltern sind Adelheid Page-Schwerzmann (1853–1925) und George Ham Page (1836–1899). [1] Er ist ein zartes Kind, das viel Pflege beansprucht. Zum Essen muss er fast immer gezwungen werden. [2]

1882 Als die ersten Eisenbahnzüge durch den neuen Gotthardtunnel fahren, sind auch Fred und Adelheid Page mit dabei. Obwohl erst fünf Jahre alt, soll sich Fred sehr für Kehrtunnels interessiert haben. Deshalb steht er mit seiner Cousine Frida Haab-Sidler (1866–1944) die ganze lange Fahrt über zuhinterst auf dem offenen Wagen. Weil der Zug mit Dampfantrieb fährt, sind die Kinder schliesslich im Tessin schwarz wie die Kohlenbrenner ... [3]

1883 Weil Fred im Kleinkinderalter ist, befasst sich seine Mutter Adelheid intensiv mit Fragen der Kinderbetreuung. Auf ihre Veranlassung hin gründet die Anglo-Swiss Condensed Milk Company eine fabrikeigene Kleinkinderschule für den Nachwuchs der Fabrikbelegschaft. [4] Zuhause hat Adelheid Page keine Kinderbetreuerin, aber dennoch einige Hilfe: Sie beschäftigt eine Köchin, ein Zimmermädchen, einen Kutscher, mehrere Gärtner, einen Schreiner und eine Näherin. [5] In diesem Jahr reist Adelheid mit Fred und ihrer Nichte Frida Haab-Sidler für drei Monate nach Italien und Frankreich. Sie will den Kindern die Schönheiten der klassischen Welt zeigen. [6] Ansonsten wird Fred vor allem von Hauslehrerinnen und -lehrern unterrichtet, nur wenige Zeit verbringt er an den öffentlichen Zuger Schulen. [7]

1887 Als sich in Zug am 5. Juli die Vorstadtkatastrophe ereignet, setzt sich die Familie Page in ihre Kutsche und fährt nach Zug, um das Jahrhundertereignis in Augenschein zu nehmen. [8]

1888 Fred Page muss sich einer Augenoperation unterziehen. Um sich zuvor zu stärken, reist Adelheid mit ihm für zwei Wochen ans Mittelmeer, ins italienische Santa Margherita. [9]

1890 Aufgrund der Geschäftstätigkeiten von George zieht Adelheid mit Fred nach New York, während George vor allem in Illinois wirkt. Fred besucht in New York das renommierte Columbia-College. [10]

1895 Um dem Sohn Fred das optimale Studium zu ermöglichen, zieht Adelheid mit ihm nach Paris. Er besucht die Ecole des Beaux-arts (Hochschule für bildende Künste) und studiert Architektur. [11] Adelheid selber nimmt wieder Malunterricht, diesmal bei einer Grösse der Pariser Kunstszene, nämlich beim berühmten Edgar Degas (1834–1917). [12] Adelheid und Fred wohnen mitten im Zentrum der Grossstadt, an der Rue Dechamps 7. Fred steht neben den Studien an der Hochschule ein Privatlehrer und Mentor in der Person von Astère Ketterer zur Verfügung. [13] Später wird «Ketti», wie er in der Familie genannt wird, Adelheid tatkräftig in Cham unterstützen.

1897 Fred Page feiert am 23. Januar seinen 20. Geburtstag in Paris. Sein Vater ist geschäftlich gerade in London unterwegs und sendet ihm ein Glückwunschtelegramm. Und überweist ihm 12’000 Franken. [14]

1899 Freds Vater George Ham Page-Schwerzmann stirbt am 20. April im Alter von knapp 63 Jahren in der Villa Cottage an der Hünenbergerstrasse. Seine Leiche wird nach Dixon in den USA überführt. Am 13. Mai finden die Trauerfeierlichkeiten statt. [15]

Anschliessend bereist Adelheid mit Sohn Fred und in Begleitung des Schwagers Samuel Fellows alle Anglo-Swiss-Fabriken in Amerika. Sie stellt den Fabrikationsleitern ihren 23-jährigen Sohn als derzeitigen Besitzer vor. Allerdings wird nicht Fred der neue Generaldirektor der Anglo-Swiss und damit direkter Nachfolger von George Page, sondern sein Onkel David Steven Page (1844–1903), der schon zuvor stellvertretender Generaldirektor gewesen war. [16]

Bei den bald einsetzenden Fusionsverhandlungen zwischen Anglo-Swiss und Nestlé stellt sich Fred Page auf die Seite der Fusionsbefürworter. Er setzt sich damit in Opposition zu seinem Onkel David, dem neuen Generaldirektor. [17] Bei der Generalversammlung vom 12. September kommt die Zweidrittelsmehrheit für die Fusion nicht zustande. Dennoch demissioniert David Page wenige Tage später, am 18. September 1899, als Generaldirektor. [18] Er hat sich mit seinem Neffen Fred Page ebenso zerstritten wie mit Alois Bossard (1841–1912). So übernimmt neu eine dreiköpfige Generaldirektion die Verantwortung, bestehend aus Fred Page, Alois Bossard und Adolf Gretener (1850–1924). [19]

1900 Die Generalversammlung der Anglo-Swiss Condensed Milk Company beschliesst, ein Denkmal für George Ham Page zu errichten. Fred Page formuliert die Wettbewerbsbedingungen, als er im Hotel Bristol in New York weilt; Adelheid Page liefert vom Horbach auf dem Zugerberg ein prägnantes Foto ihres verstorbenen Ehegatten. [20] In Paris lernt Fred Page Berte Diez kennen und lieben. Seine Mutter Adelheid befürwortet eine Verlobung. [21]

1901 Die Wettbewerbsjury für das Denkmal setzt sich zusammen aus Adelheid Page, ihrer Nichte Frida Haab-Sidler, deren Gatte Otto Haab-Sidler (1850–1931) sowie aus Verwaltungsratspräsident Adolf Gretener. Nach «Überwindung bedeutender Meinungsverschiedenheiten» erhält der bekannte Bildhauer Richard Kissling (1848–1919) den Auftrag. [22]

1901/1902 Um die Anglo-Swiss besser mit Nestlé fusionieren zu können, beschliesst die Generaldirektion den Verkauf des US-Geschäfts. Damit beauftragt wird Fred Page. Wiederum in Begleitung seiner Mutter Adelheid bereist er Amerika, um die Fabriken in Middletown, Dixon, Burnside, Monroe, Goshen, Sterlin, Walton, New York, Brooklyn und Chicago verkaufsfertig zu machen. Schliesslich gehen alle Betriebe an den Konkurrenten Borden. Der Verkaufspreis beträgt 1'982'733 Franken, der heutige Geldwert wäre knapp 30 Millionen Franken. [23]

1903 Freds Mutter Adelheid kauft das Schloss St. Andreas. Das bedeutet, dass Fred mit seiner Verlobten Berte Diez auch nach Cham zieht. Es kommt zum Zwist zwischen Mutter, Sohn und Schwiegertochter in spe. Schliesslich wird die Verlobung zwischen Berte und Fred für nichtig erklärt. Fred beugt sich dem Diktat seiner Mutter Adelheid. [24] Fred Page ist mit einem Vermögen von 1'340'000 Franken der reichste Chamer. [25]

1903 Im Park des Verwaltungsgebäudes wird das Denkmal von Freds Vater George erstellt. An der Enthüllungsfeier sagt Fred Page zu den Gästen: «Die auszeichnende Anerkennung, welche die Anglo-Swiss Condensed Milk Co., die Behörden und das Volk des Kantons Zug dem Pioniere der Arbeit widmen, tut der engern und weitern Familie des Gefeierten unendlich wohl.» [26]

1905 Freds Cousine Emma Bossard macht in England die Bekanntschaft mit einer charmanten Lehrerin aus Italien, die sie nach Cham einlädt: Diese Lisina Martinelli (1877–1920) lernt Fred Page kennen und lieben. Weil Lisina einer alten italienischen Familie entstammt und als Hofdame bei Margarethe Maria Therese Johanna von Savoyen (1851–1926), der Königin von Italien, gewirkt hat, passt sie auch Freds Mutter Adelheid, so dass sich Lisina und Fred verloben. [27]

Nach der Fusion der Anglo-Swiss Condensed Milk Company mit der Nestlé SA wird Fred Page Sekretär des Verwaltungsrats. Zudem wirkt er bis 1926 als einer vier (später drei) Delegierten des Verwaltungsrats, die als Generaldirektoren die Geschäfte führen. Dabei wirkt Page von Cham aus. [28]

1906 Lisina Martinelli und Fred Page heiraten am 17. Januar im noch nicht fertig gestellten Schloss St. Andreas. Die Festgesellschaft bekommt ein 13-gängiges Menu, das die Internationalität des Hochzeitspaars und der Gäste spiegelt. [29]

1907 Tochter Monica (1907–1995) kommt zur Welt. [30]

1908 Freds Onkel Alois Bossard tritt aus gesundheitlichen Gründen aus der Generaldirektion zurück, verbleibt aber im Verwaltungsrat der neu fusionierten Gesellschaft Nestlé & Anglo-Swiss und wirkt dort als ständiger Unruheherd. Mit seinem geradezu unerhörten Antrag, eine Untersuchung gegen die Firma einzuleiten, scheitert Bossard. Er macht sich unglaubwürdig und schwächt damit den Einfluss der Familie Page, die er vertritt. [31]

1910 Der Sohn George Hugh (1910–2001) wird geboren. [32] Fred Pages Vermögen hat sich auf 2,7 Millionen Franken erhöht, sein Jahreseinkommen beträgt 178'800 Franken. [33]

1920 Am 23. Oktober stirbt Fred Pages Ehefrau Lisina, im Alter von erst 43 Jahren, an Brustkrebs. [34]

1930 Fred Harte Page stirbt am 9. Januar im Alter von knapp 53 Jahren in Davos GR an einem Herzversagen während des Skifahrens. [35]


Privates

Fred Harte Page war trotz seines zweiten Vornamens eher ein weicher Typ. Klopfte ein Bettler beim Schloss St. Andreas an, schenkte er ihnen stets ein Hemd aus strapazierfähigem Barchet und zwei Franken – auch dann, wenn er zweimal am gleichen Tag kam. Keinen Spass verstand Fred Page aber jungen Herren gegenüber, die hinter seiner Tochter Monica her waren. Er liess Mehl in den Korridor verstreuen, um nächtliche Bewegungen feststellen zu können. [36]


Würdigung

Als Sohn von zwei dominanten Persönlichkeiten war es für Fred Page sicher nicht einfach, sich selber zu entfalten. Seinen Beruf als Architekten übte er nie professionell aus; stattdessen schickte er sich in verschiedene Aufgaben innerhalb der Anglo-Swiss und schliesslich der Nestlé & Anglo-Swiss. Bleibende Spuren zu hinterlassen, wie es seinen Eltern mühelos gelang, schaffte er allerdings nicht.


Einzelnachweise

  1. Orsouw, Michael van / Stadlin, Judith / Imboden, Monika, Adelheid, Frau ohne Grenzen. Das reiche Leben der Adelheid Page-Schwerzmann, Zürich 2003, S. 199
  2. Haab-Sidler, Frida, Erinnerungen, Mein Leben währte Jahre (undatiert), Reproduktion von Hajo Leutenegger 2016, S. 29
  3. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 76
  4. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 55
  5. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 63
  6. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 83
  7. Vgl. Anmerkung 2 (Haab-Sidler), S. 29
  8. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 76
  9. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 85
  10. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 65, 99
  11. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 104
  12. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 109
  13. Orsouw, Michael van / Stadlin, Judith / Imboden, Monika, George Page. Der Milchpionier. Die Anglo-Swiss Condensed Milk Company bis zur Fusion mit Nestlé, Vevey / Zürich 2005, S. 88
  14. Vgl. Anmerkung 13 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 91
  15. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 133, 135
  16. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 136
  17. Lüpold, Martin, Der Ausbau der «Festung Schweiz»: Aktienrecht und Corporate Governance in der Schweiz 1881–1961, Dissertation Universität Zürich, Zürich 2010, S. 147
  18. Fischer, Manuel, Kondensmilch, vom Kinderernährungsmittel zum vielseitigen Halbfabrikat der Nahrungsmittelindustrie, in: Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 17, 2001, S. 298
  19. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 136
  20. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 140
  21. Vgl. Anmerkung 2 (Haab-Sidler), S. 30
  22. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 140–144
  23. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 139
  24. Vgl. Anmerkung 2 (Haab-Sidler), S. 30
  25. Steuerregister für den Kanton Zug, Zug 1903
  26. Zuger Volksblatt, 21.04.1903
  27. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 68
  28. Freundliche Mitteilung von Dr. Albert Pfiffner, Archives historiques Nestlé SA, Vevey, vom 19.12.2018
  29. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 160
  30. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 190
  31. Vgl. Anmerkung 2 (Haab-Sidler), S. 23
  32. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 190
  33. Steuerregister für den Kanton Zug, Zug 1910
  34. Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw / Stadlin / Imboden), S. 190
  35. Der Bund, 14.01.1930
  36. Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Zuger Gemeinde, Cham 1995, S. 260