Vogel-von Meiss Anna (1858–1942)
Anna Vogel-von Meiss war eine adelige Zürcherin. Sie heiratete den Papierindustriellen Carl Vogel, wohnte in der herrschaftlichen Hammer-Villa in Cham und einem noblen Stadthaus in Zürich. Schliesslich konnte sie die Chamer Villette von ihrem Onkel Heinrich Schulthess-von Meiss übernehmen und erbte die Papierfabrik Cham von ihrem Mann.
Stationen
1858 Anna kommt am 4. April als Kind von Hans von Meiss (1813–1884) von Wülflingen ZH und Anna von Muralt (1829–1907) in Zürich zur Welt. Die Familie mit den zwei «von»-Adelstiteln ist sehr vermögend, ihr Vater ist belgischer Konsul. Anna wächst auf dem grosszügigen Familiensitz Meissenberg (später auch Meisenberg) in Zug auf (heute psychiatrische Klinik). Daneben besitzt die Familie noch das Herrenhaus «zum Lindengarten» am Hirschengraben in Zürich, das Anna später erbt. [1]
1878 Anna von Meiss ist 20 Jahre alt und heiratet im August Carl Vogel (1858–1911), den Papierfabrikanten von Cham. Die Belegschaft der Papierfabrik Cham bekommt ein Geschenk: Die Männer erhalten fünf Franken, die Frauen zwei Franken, dazu einen Nachmittag frei, ohne Lohnabzug. Das Ehepaar hat zwei Wohnsitze: das Haus «zum Lindengarten» in Zürich und die Villa im Hammer in Cham. [2] Zwischen den zwei Haushalten bewegt sich die Familie ständig und her und Annas Organisationstalent ist gefragt. [3]
1880 Das erste Kind kommt zur Welt, es ist ein Sohn, Anna und Carl nennen ihn Hans Carl Alexander (1880–1905), gerufen wird er Alexander. [4] Das Ehepaar lebt im Sommer mit der Familie in Cham, in den Wintermonaten im Stadtsitz in Zürich. [5]
1881 Die erste Tochter folgt, Anna Helena Alice (1881–1944). Sie heiratet später Leo Bodmer (1880–1961), der auch in der Papierfabrik führende Positionen innehat. [6]
1883 Die zweite Tochter, Bertha Olga (1883–1970), erblickt das Licht der Welt. Sie heiratet später Walther Meiss von Wülflingen (1869–1934). [7]
1885 Die dritte Tochter folgt schon zwei Jahre später, sie heisst Anna Emilie Charlotte (1885–1981), sie wird in der Familie Emy genannt. Sie heiratet Robert Naville-Vogel (1884–1970), der die Papierfabrik während einem halben Jahrhundert führt und prägt. [8] Vielleicht auch aus familiären Gründen mit den vier Kindern tritt Carl beruflich etwas kürzer. Obwohl erst 35 Jahre alt, gibt er die alleinige Führung der Papierfabrik Cham ab und stellt zu seiner Entlastung einen Direktor an. [9]
1888 Das jüngste der fünf Kinder ist Anna Helena (1888–1963), genannt «Ellen». Sie heiratet später Ernst Seeburger (1877–1955). [10]
1898 Heinrich Schulthess (1813–1898), Besitzer der Villette Cham, stirbt am 26. Juni. Dessen Frau Bertha ist die Tante und Patin von Anna Vogel-von Meiss. Die Villa und der Park in der Villette gehen an Anna über, nachdem sie den Vorzugspreis von 90'000 Franken bezahlt hat. [11] Damit gehört nun das ganze Seegebiet zwischen der Bahnlinie im Norden, dem Zugersee im Süden, der Lorzenmündung im Osten und der Eslen im Westen der Papieri-Dynastie, es handelt sich um eine einzigartige Parklandschaft von 108'000 Quadratmetern. Anna und Carl Vogel-von Meiss besitzen nun drei herrschaftliche Häuser: eines in Zürich, dann in Cham die Villa im Hammer und die Villette am See. [12]
1902–1904 Im Auftrag von Anna Vogel-von Meiss wird die Sommerresidenz Villette durch den Architekten Dagobert Keiser (1847–1906) umgebaut. Der Architekt, der auch mit seinem gleichnamigen Sohn Dagobert (1879–1959) arbeitet, macht aus dem einstigen Ferienhaus eine ganzjährig bewohnbare Villa. [13]
1905 Das älteste Kind und der einzige Sohn, Alexander, kommt im Alter von 25 Jahren bei einem Reitunfall in Morges VD ums Leben – eine grosse Tragödie in der dynastiegewohnten Familie Vogel. [14]
1906 Zusammen mit ihrem Mann und den beiden Töchtern Anna Emilie Charlotte und Anna Helene erhält Anna am 24. Juni das Chamer Ehrenbürgerrecht. [15]
1908 Anna Vogel-von Meiss engagiert sich beim Bau des Asyls Cham, das 1909 eröffnet wird, und nimmt Einsitz in die Betriebskommission. [16]
1909 Die Erneuerung der Innenausstattung der Villette findet ihren Abschluss: Das Treppenhaus wird neu gestaltet, das Speisezimmer auf der Südseite wird vergrössert und von einer Terrasse bekrönt, die Küche wird angebaut und aufgestockt, im ganzen Haus gibt es elektrisches Licht und eine Zentralheizung, in Ergänzung der vorhandenen Cheminées. [17]
1911 Annas Ehegatte Carl stirbt im Dezember in Zürich. Er war vor seinem Tod linksseitig durch einen Schlaganfall gelähmt. [18]
1912 Anna Vogel-von Meiss hat bereits zwei Herrschaftshäuser und ein grosses Vermögen geerbt. Bei der jetzigen Erbteilung fällt ihr jedoch der grösste Nachlass zu: die Papierfabrik Cham. Weil weder sie noch eine ihrer vier Töchter die Nachfolge als operativ tätige Besitzer und Direktoren antreten wollen, gründet Anna Vogel mit ihren Töchtern eine Aktiengesellschaft, nämlich die Papierfabrik Cham AG. Die Direktion teilen sich ihre Schwiegersöhne Robert Naville-Vogel (1884–1970) und Leo Bodmer-Vogel (1880–1961); ihr Schwager Richard Vogel (1870–1950) nimmt im Verwaltungsrat Einsitz. [19] Anna Vogel-von Meiss zieht nun definitiv in die Villette am See; den «Hammer» überlässt sie ihrer Tochter Emy und Schwiegersohn Robert Naville. [20]
1916 Auch nach dem Tod ihres Ehegatten ist Anna Vogel sehr aktiv. Trotz des Ersten Weltkriegs baut sie ihr herrschaftliches Haus am Hirschengraben in Zürich um, es hat damals die Adresse Krautgartengasse 8 (heute Hirschengraben 22). [21]
1926 Als Frau der Oberschicht ist es ihr möglich, ein Automobil zu besitzen. [22] Ob sie selber damit fährt oder sich fahren lässt, zum Beispiel von ihrer Tochter Emy, ist nicht überliefert.
1942 Anna Vogel-von Meiss stirbt am 4. März im Alter von 84 Jahren. Die Papierfabrik übernimmt die Villa Villette. Der Zuger Architekt Walter F. Wilhelm (1892–1961) baut zwei Wohneinheiten in das Gebäude. Die östliche Hälfte dient als ständige Direktorenwohnung, die westliche als Feriensitz für die (Familien-)Aktionäre. [23]
1948 Die Öffentlichkeit erwirbt den Villette-Park – Stück für Stück. Die Einwohnergemeinde kann einen ersten Teil des Villette-Parks im Umfang von 11'300 Quadratmetern von den vier Erbinnen der Anna Vogel-von Meiss abkaufen. [24]
Würdigung
Natürlich wurde Anna Vogel-von Meiss kraft ihrer Herkunft einiges in die Wiege gelegt. Doch durch die Heirat mit Carl Vogel entwickelte sie ihr Erbe geschickt weiter. Den Umbau der Villette trieb sie alleine voran. Auch nach dem Ableben ihres Gatten 1911 zeigte sie unternehmerisches Geschick, als sie die Familienfirma Papierfabrik in eine Aktiengesellschaft überführte und damit den Fortbestand des Chamer Industriebetriebs sicherte. Auch engagierte sie sich sozial, zum Beispiel bei der Errichtung des Chamer «Asyls».
Dokumente
Einzelnachweise
- ↑ Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2006, S. 45
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36, 45
- ↑ Zurfluh, Christoph, Hammer. Von der «Chupferstrecki» bis zur «Ära Lüdi» 2014, Cham 2014, S. 79
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 39
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 45
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 39
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 39
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 39
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 39
- ↑ Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 145. Freundliche Mitteilung von Christoph Zurfluh, 01.05.2019
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Vgl. Anmerkung 11 (Grünenfelder), S. 145
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 45
- ↑ Gruber, Eugen et al., Geschichte von Cham, Bd. 2, Cham 1962, S. 311
- ↑ Odermatt, Alice / Stadlin, Judith, Vom Asyl Cham zur AndreasKlinik, Cham 2010, S. 23f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 11 (Grünenfelder), S. 145
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 45
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Zurfluh), S. 84
- ↑ Bau-Chronik, in: Illustrirte schweizerische Handwerker-Zeitung, 22.06.1916
- ↑ Verzeichnis der Motorfahrzeuge, Zug 1926
- ↑ Vgl. Anmerkung 11 (Grünenfelder), S. 145
- ↑ Grünenfelder, Josef / Schmuki, Christoph (Redaktion), Villette Cham, 2. Aufl., Cham 1991, S. 48