Spiess 1
Der Hof am Südrand des Städtlerwalds entstand im frühen 19. Jahrhundert und war zunächst das Daheim der Familie Gretener. Seit dem Jahr 1902 ist der Hof im Besitz der Familie Rickenbacher, die hier seit 2002 den «Pferdehof Rickenbacher» betreibt.
Chronologie
1699 Die Weide «Spisß» wird zum ersten Mal in einer Schriftquelle erwähnt. [1] Das Weideland ist zunächst im Besitz der Familie Grob.
1796 Nun besitzt der spätere Gemeindepräsident Melchior Gretener (1770–1844) die Weide im «Spiß». [2]
1808 Der grosse Hof südlich des Städtlerwalds wird im Februar geteilt: Melchior Gretener erhält das «Stumbenhaus -und heimwesen» (Stumpenhof), sein Bruder Alois Gretener (1770–1853) das westlich gelegene «Roth Spiss». Dazu erhält jeder Bruder je eine halbe Gemeindegerechtigkeit Wald im Städtli. [3]
1809 Ratsherr Alois Gretener baut auf seinem Landteil ein Wohnhaus (Ass.-Nr. 41a). Die Jahreszahl ist an einer Kellerfensterlaibung angebracht. [4] Alois Gretener ist verheiratet mit Anna Maria geborene Grob. Sie haben 14 Kinder. [5]
Zur Liegenschaft gehören in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine mit Stroh eingedeckte Scheune (Ass.-Nr. 41b, erneuert 1860), ein Trottengebäude mit Schweinestall nördlich des Wohnhauses (Ass.-Nr. 41c) sowie ein Dörrofen mit einer Wohnung darauf (Ass.-Nr. 41d). [6]
Famillienmitglieder Rickenbacher vor dem alten Waschhaus, undatierte Aufnahme
1820
Die Kommunikantenzählung erfasst im Wohnhaus von Ratsherr Alois Gretener sieben Kommunikanten. Zum Haushalt zählen noch Kinder (Nicht-Kommunikanten).
1850 Während der ersten eidgenössischen Volkszählung lebt die Familie von Landwirt Alois Gretener-Meier jun. (1803–1889) und seiner Frau Katharina (1802–1872) auf dem Hof. Dazu kommen vier Kinder, geboren zwischen 1832 und 1838. Der älteste Sohn, Kaspar, arbeitet als Lehrer. Ebenfalls auf dem Hof leben der Knecht Bernhard Winkler (geb. 1822) und die Magd Katharina Grob (geb. 1794). [7] Knecht Winkler wird 1853 wie seine ganze Familie gemäss Regierungsratsbeschluss definitiv als Heimatloser der Gemeinde Cham zugewiesen. [8]
1856/1857 Innerhalb von wenigen Monaten kommt es zu zwei Besitzerwechseln: Zunächst kaufen 1856 Heinrich Luthiger und Michael Wyss die Liegenschaft. Ein Jahr später treten treten sie den Hof an Gemeindeschreiber Mathias Gretener (1818–1898) ab, ebenfalls ein Sohn von Alois sen. und auf dem Spiess aufgewachsen.
1866 Für 4600 Franken verkauft Friedensrichter Mathias Gretener den Hof an Küfermeister Xaver Grob (1821–1885). [9]
1873 Die Scheune wird erhöht. [10]
1885 Nach dem Tod von Xaver Grob [11] geht die Liegenschaft an Jakob Grob über. [12]
Der Hof Spiess in einer Aufnahme um 1950
1902
Am 9. August kauft Josef Franz Dominik Rickenbacher (1847–1915) aus Illgau SZ für 45'000 Franken den Hof. Er ist verheiratet mit Gertrud, geborene Heinrich (1851–1921). [13]
1915 Nach dem Tod von Josef Franz Dominik geht die Liegenschaft an Sohn Josef Rickenbacher (1882–1943). [14] Josef ist zweimal verheiratet, mit Anna Maria Josepha Rickenbacher-Iten (1885–1912) von Zug, die nur zwei Wochen nach der Geburt von Sohn Josef (1912–1990) stirbt und mit Josepha Katharina Rickenbacher-Annen (1892–1944) von Lauerz. [15]
1949 Nach dem Tod der Eltern während des Zweiten Weltkriegs übernimmt Josef Rickenbacher-Annen (1912–1990) den Hof. [16]
1972 Das alte Waschhaus mit Wohnung (Ass.-Nr. 41d) wird abgerissen und weitgehend in Eigenregie mit Hilfe von Freunden und Nachbarn neu erbaut. [17]
Abbruch des Waschhauses («altes Hüsli»), Screenshot ab Film, 1971
1979
Mit Sepp (1944–2008) und Trudy Rickenbacher-Suter übernimmt die nächste Generation den Hof. Mit neuen kreativen Ideen soll der Hof weiterentwickelt werden, so beginnt Trudy als gelernte Damenschneiderin in der eigenen Manufaktur mit der professionellen Produktion von «Chriesisteisäckli» und weiteren Liebhaberobjekten (Stützkissen, Stillkissen etc.). [18]
Das Wohnhaus Spiess, vor der Sanierung 2005
2006 Die neuen Besitzer, Thomas und Nadja Rickenbacher-Hänni, eröffnen auf dem Spiesshof den «Pferdehof Rickenbacher Cham». Der Pferdepensionsstall bietet moderne artgerechte Pferdeplätze in zwei verschiedene Haltungsformen an. [19]
2017 Mit der geplanten Umfahrung Cham-Hünenberg kann die nördlich des Spiesshofs gelegene Ranch (Ass.-Nr. 41i) nicht weiter als Pferdestall genutzt werden, da die dazu gehörende Weide durch den Strassenbau zerschnitten wird. Für den Verlust der besagten Weide kann die Familie Rickenbacher vom Kanton Zug 1,3 Hektaren Land erwerben. Auf diesem Landstück wird der Kanton eine neue Ranch erstellen. Die Chamerinnen und Chamer stimmen der Änderung des Richt- und Zonenplans mit der Umzonung von der Landwirtschaftszone in eine Zone mit speziellen Vorschriften für Reitsportanlagen mit fast 87% JA-Stimmen sehr deutlich zu. [20]
Der Hof Spiess 1, 15.07.2018
2023
Die Arbeiten für den Bau der Umfahrung Cham-Hünenberg werden aufgenommen. Der neue Stall kann gebaut werden. [21]
2024 Der Hof ist im Besitz von Thomas und Nadja Rickenbacher-Hänni. [22]
Das Wohnhaus
Der heute denkmalgeschützte Spiesshof ist ein verputzter Fachwerkbau unter einem eher flach geneigten Dach. Der geräumige Keller und das Wohngeschoss bestehen aus Mauerwerk, das Obergeschoss und die Giebelfelder im Riegelbau, aber ganz verputzt. Im Wohngeschoss gibt es fünf, im Kammergeschoss drei axial bezogene Fensterachsen. Der klassizistische Aspekt wird durch das Fehlen von Lauben und den auf den Trauseiten weitergeführten Vordächern verstärkt.
Die Stube ist sorgfältig ausgestattet: Sie enthält Wand- und Deckentäfer im Stil Louis-seize, einen grünen Kachelofen von 1825/1826 mit zwei Signaturkacheln von Josef Hoffmann aus Hochdorf LU [23] und eine Flötenuhr hinter gemaltem Zifferblatt – möglicherweise vom Zuger Porträt- und Historienmaler Johann Kaspar Moos (1774–1835) – in einem grossen Wanduhrenkasten. [24]
Das Wohnhaus Spiess kurz nach der Sanierung im Jahre 2005
Der Flurname: Spiss vs. Spiess
In Orts- und Flurnamen verweist schweizerdeutsch Spiss, Spîs («Gegenstand von spitzer Form») auf die spitze Form eines Grundstücks. Der Spiss in Cham wurde im 19. Jahrhundert zu «Spiess» umgedeutet. [25]
Skifahren im Spiess
Die meisten Kinder der Rickenbacher-Verwandt lernen im 20. Jahrhundert am Hügel gegen den Teuflibachhof das Skifahren. Zunächst wurden «Fassdugeli» (Fassdauben, zwei gebogene Bretter von einem Fass mit einer Steuerschnur und einer Bindung aus Leder) und Haselstöcke, dann richtige Skis aus Eschenholz verwendet. [26]
Teilungsvertrag von 1808 (Kopie)
(Transkription)
Urkund und zu wissen sei hiermit
Dass heute am endgesetzten Datum zwischen
dem hochgeachteten Herrn Gemeindepräsident, Melchior Gretener und seinem Bruder Alois Gretener im Städtli seine ordentliche Gütertheilung geschehen sei.
Es ist nämlich dem Herrn Präsident Melchior Gretener zu Theil geworden, das sogenannte Stumbenhaus und Heim wovon samt dem Allmendtheil Weid, auch halbe Gemeindsgerechtigkeit im Städtlerwald.
Dann ist dem Alois Gretener zu Theil worden das sogenannte Roth Spiess, auch halbe Gemeindsgerechtigkeit im Städtler Wald.
Item ein Stück Matt im Stumben gelegen, ungefähr drei Jucharten, stosst an die darab getheilte Matt, an Melchior Groben Moosmatt, an die Rindergaas und an das Schluochtholz.
Item ein Ried, am See gelegen 1 ½ Jucharten, stosst an das Kaplanipfrund im Städtli gehörigen Ried, an Videcomiss Herren Allmendtheil und an Jost Greteners Ried.
Er gibt Melchior Gretener von der Strass beim Haus, Weg in das obgenannte Stück Matt zu gehen und zu fahren, auch gibt er Weg in die Weid von der Stampfeten im Kirchweg durch die Weid dem Hang nach bis in Roth Spiess.
Also geschehen den 8ten Hornung 1808
sig. Hausheer, Gemeindeschreiber
Zu dessen wahrer Bescheinigung ist gegenwärtiger Theilbrief, nachdem die daherigen Taxen entrichtet worden, in unserer heutigen Gemeinderathssitzung unterm Gemeinde Sygel ratificiert worden
So geschehen zu Cham, 27sten Hornung 1808
Der Vice= Präsident: sig. Caspar Hildebrand
Carl Hausheer Gemeindeschreiber
Für getreue Abschrift testiert
Cham d. 13 Juli 1877 per Gemeindekanzlei,
M. Baumgartner
Gemeindeschreiber
Bewohner und Bewohnerinnen
Geschwister Rickenbacher Richard, Katharina, Josef, Elisabeth, Therese, Hans, Franz, Walter, Anna, es fehlt Pia
Filmdokument
Filmdokument zum Abbruch und Neubau des Waschhauses mit Wohnung, 1971/72
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 29, S. 395, zit. b. Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 2, S. 354
- ↑ Staatsarchiv Zug, Gült Nr. 5467
- ↑ Privatarchiv Rickenbacher Cham, Teilungsvertrag vom 08./27.02.1808. Abschrift von 13.07.1877. Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 5, 26
- ↑ Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 185f. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Zuger Volksblatt, 11.10.1898
- ↑ Das letzte Gebäude wurde später in ein Waschhaus mit Wohnung umgenutzt. Vgl. Anmerkung 3 (Grünenfelder), S. 186. Furrer, Benno / Grünenfelder, Josef, Häuser am Weg 2 [Faltprospekt]: Moos – Friesencham – Enikon, Baar 2006
- ↑ Staatsarchiv Zug, Volkszählung 1850
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 05.03.1853
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868). Privatarchiv Rickenbacher Cham, Kaufvertrag vom 20.02./09.03.1866. Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 8, 27-30
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 17.01.1885
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band. Privatarchiv Rickenbacher Cham, Kaufvertrag vom 09.08.1902. Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 10f., 31-34
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 12
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.4, Assekuranzregister Cham, 3. Generation (1929–1960), 1. Band
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 21
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 21f.
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 22
- ↑ Zuger Zeitung, 12.02.2017
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 25
- ↑ www.zugmap.ch, Eintrag Grundstücknummer 534; Grundbuchfläche: 64141 m²; Gebäude: 2205 m²; Strasse, Weg: 1026 m²; übrige befestigte Fläche: 6085 m², Gartenanlage: 2566 m² [Stand: 18.10.2024]
- ↑ Inschriften: «Von / mier Joseph / Hoffmann / 18 Hafner/ in / Hochdorf / 26», darüber «herr Raths- / herr Aloisy Grettener / zum Kom im Stättli / 1825»
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Grünenfelder), S. 186
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Dittli), Bd. 2, S. 354
- ↑ Vogel, Peter, Hofchronik der Rickenbacher im Spiess 1699–2024, Cham 2024, S. 19