Schlüssel
An der Adelheid-Page-Strasse 13/15 steht mindestens seit 1819 die Gebäudegruppe zum «Schlüssel». Hier befanden sich einst eine beliebte Gastwirtschaft und eine Bierbrauerei. Als sich Nachbarn über den Lärm ärgern, kaufen sie 1918 die Liegenschaft und schliessen die Wirtschaft.
Chronologie
1819 Mindestens seit diesem Jahr befindet sich nach der mündlichen Tradition an der Strassenecke Adelheid-Page-Strasse 13/15 die Gastwirtschaft «Zum Schlüssel». [1] Das Gasthaus liegt an der alten, von Zug her kommenden Landstrasse, die näher am Zugerseeufer entlang führt. Die Lage ist optimal: Die Reisenden von Zug her müssen sich entscheiden, ob sie in Richtung Luzern oder Zürich (über die Löbern) weiter reisen.
1820 In der Kommunikantenzählung der Gemeinde Cham wird ein Franz Meyer als erster namentlich bekannter «Schlüßelwirth» erwähnt. [2]
1830 Die Liegenschaft (Ass.-Nr. 26a) geht am 24. Juli von Franz Meyer an Nikodemus Ineichen über. [3]
1832 (Franz) Jakob Wüest (1808–1864) von Neudorf LU kauft die Liegenschaft und betreibt mit seiner Frau Katharina (1806–1882) das Gasthaus. Wüest erstellt noch eine Metzgerei und Bierbrauerei im nördlichen Nebengebäude (Ass.-Nr. 26c). [4] Der «Schlüssel» gehört damit zu den ältesten Bierbrauereien des Kantons Zug. In den veränderten Trinkkultur – vom sauren Most und vom Wein hin zum Bier – spiegelt sich der Übergang von der ländlich zur industriell geprägten Gesellschaft.
1840 Die Hauptstrasse Zug–Cham wird neu angelegt und entspricht nun in etwa dem Verlauf der heutigen Kantonsstrasse (Zugerstrasse). Der «Schlüssel» liegt nun etwas abseits.
1846 Die kantonale medizinische Gesellschaft versammelt sich im Gasthaus zum Schlüssel. [5]
1850 Wirt und Bierbrauer Jakob Wüest will «als alter Schützenfreund» auch seinen Teil zum «Grümpelschiessen» [6] in Cham beitragen und will «gut gebräutes, ächt vaterländisches Bier per Mass à 2 Batzen auswirthen.» [7]
1851 Auch in der Fasnachtszeit geht es im Schlüssel hoch her: Bierbrauer Jakob Wüest organisiert einen Maskenball mit Freitanz. [8] Für das Jahr 1854 bieten die «Geschwister Frei in der Vorstadt» (Stadt Zug) den Gästen im Schlüssel als Verkleidung «Larven und ganz neue Maskenkleider» an. [9]
1858 Für ein Sommerkonzert bietet Bierbrauer Wüest eine «Harmoniemusik» auf und schenkt dazu Starkbier («Kraftbier») aus. [10] Die Gartenwirtschaftsaison wird in jedem Jahr jeweils mit «Blechmusik» eröffnet. Meist sind es auswärtige Musikgesellschaften, ab und zu spielt auch die Musikgesellschaft Cham-Hünenberg auf. [11]
1860 In der Fasnachtszeit findet auch das Nachbarschaftsessen der Anwohner im Städtli im Schlüssel statt. [12]
1864 Jakob Wüest stirbt am 27. Juli. [13]
1865 Seine Söhne Jakob (1832–1893) und Xaver inserieren für einen «Handwerker-Ball» in der Bierbrauerei «zum Schlüssel» für den 20. Februar. [14]
Die Städtlichilbi gehört zu den wichtigsten Ereignissen im Jahreslauf: Im «Schlüssel» gibt es am 8. und 9. Oktober Freitanz und «Kegelschieben». [15] Das Fest geht auf die Weihe der Kapelle St. Andreas am 2. Oktober 1489 zurück.
1867 Der «Handwerker- und Gewerbeverein Cham-Hünenberg» – eine Vorgängerorganisation des erst 1919 gegründeten Gewerbevereins Cham – trifft sich am 14. Juli im Schlüssel, um über «eine gemeinschaftliche Unterstützungskasse und die statutengemässen Geschäfte» zu beraten. [16] Auch in den folgenden Jahren hält der Verein seine Versammlungen im Schlüssel ab.
1869 Sicher seit diesem Jahr gibt es im Schlüssel auch eine Kegelbahn. An der Kirchweih wird ein «Kegelschieben» ausgerichtet. [17]
1874 Jakob Wüest verkauft auch Most- und Lageräpfel sowie gedörrte Nüsse. [18]
1875 Bei der Gebrüdern Wüest wird immer wieder Aufregendes geboten. Wandertheater machen im 19. Jahrhundert gerne Halt im Schlüssel-Saal: Kurz nach Neujahr gastiert das «Theatre Phantastique» von Charles Sperlinski mit zwei «grossen Vorstellung des scheinbar Uebernatürlichen in der modernen Magie, Physik und Illusion, verbunden mit den grossartigen indischen Hexenspielen.» [19] Ende Januar tritt das «Preissino-Theater» mit Magie-Kunststücken im «Schlüssel» auf. [20]
1878 Die Mitglieder des Grütlivereins Cham führen im «Schlüssel» Theater auf: Zuerst «Der Hausdrache», ein Lustspiel von A. Lang in zwei Akten, als Nachspiel «Kasperl als Portraitmaler» und zum Schluss «Erlach’s Tod». [21]
1880 An der Städlichilbi erfreut beim Gasthaus (erstmals?) auch «eine Reitschule» – ein Karussell – die Chamer Kinder. [22]
1883 Der «Schlüssel» ist nicht nur ein Speise- und Trinklokal. Jakob junior und Xaver bieten in ihrem Gasthaus auch acht Zimmer mit je zwei Betten an. Dorfbekannt ist zu jener Zeit das Geschwisterpaar Wüest, genannt «Schlüssel-Xaveri» und «Schlüssel-Nanette» (1840–1890). [23]
1890 Am 22. Juni gibt es grosses Gartenfest zum 25-jährigen Jubiläum der «Gartenwirthschaft zur Bierbrauerei».
1893 Der neue Besitzer des Schlüssels heisst Oswald Stuber. Er stammt vom Restaurant Bauernhof in Rotkreuz. [24]
1894 Die Brüder des neuen Besitzers, Jakob und Georg Stuber, stellen das Gesuch, im «Schlüssel» wirten zu dürfen. [25]
1895 Albert Binzegger, Maschinist bei der Anglo-Swiss Condensed Milk Company, ist der neue Wirt. [26] Er lädt an Fronleichnam zur einer «Produktion der Harmoniemusik Zug», «bei günstiger Witterung im Garten, bei ungünstiger Witterung im Saal. [27]
Initiative Chamer gründen in diesem Jahr am 4. Dezember im «Schlüssel» den Orchesterverein Cham. [28]
1898 Witwe Catharina Schenker-Wüest beantragt das Wirtepatent, sie ist 60-jährig, erst seit sechs Wochen in Cham und lebt zuvor in Luzern. Sie hat die Liegenschaft ersteigert. [29]
1899 Catharina Schenker-Wüest eröffnet den Betrieb offiziell am 15. Januar. [30]
1903 Adelheid Page-Schwerzmann (1853–1925) kauft das Schloss St. Andreas; dass sie gleichzeitig den «Schlüssel» erwirbt, wie es in verschiedenen Publikationen heisst, stimmt nicht. [31]
1908 Catharina Schenker-Wüest ist verstorben; ihre Erben beantragen nun das Wirtepatent. Die Wirtschaft weist neben der Wirtstube drei Gastzimmer und einen Tanzsaal auf, insgesamt beträgt die Nutzfläche 120 Quadratmeter. Als Verantwortlicher der Erbengemeinschaft tritt Heinrich Isaak-Schenker auf. Er wirtet gemeinsam mit seiner Schwägerin Albertina Rast-Schenker. [32]
1910 Der neue Eigentümer ist B. Rast-Schenker, Gerichtsschreiber, aus Ebikon LU. Er verpachtet den «Schlüssel» an Witwe Henriette Bohnenblust-Falcini (*1850). [33]
1912 Henriette Bohnenblust-Falcini fungiert neu als Eigentümerin. Sie will den Betrieb an Alphons Burri und seine Mutter Jakobea Burri-Vogel verpachten. Doch der Auszug aus dem «Zentral-Strafregister des Kantons Luzern» zeigt, dass die Burris diverse Bussen wegen «Überwirten» und anderen Übertretungen des Wirtschaftsgesetzes bezahlen mussten. Jakobea Burri sei «moralisch zweifelhaft». Deshalb erhält Alphons Burri, der einen unbescholtenen Leumund vorweisen kann, das Wirtepatent nur unter der Bedingung, dass er selber wirtet. [34]
1913 Walter Billeter, der neue Ehegatte von Jakobea Burri-Vogel, will mit deren vier Kindern den «Schlüssel» weiterführen. Der Grund liegt darin, dass Alphons Burri eine Anstellung als Milchausmesser bei der Nestlé & Anglo-Swiss angetreten hat und deshalb nicht nebenher eine Wirtschaft führen darf. [35] Im gleichen Jahr wird der «Schlüssel» an den Maschinisten Josef Besmer (*1861) aus Küssnacht am Rigi SZ verkauft. Dieser stellt das Gesuch für das Wirtepatent. [36]
1918 Aufgrund der wirtschaftlichen Krisenzeit muss Josef Besmer die Liegenschaft Schlüssel versteigern. [37] Fred Page (1877–1930), Bewohner des Schloss St. Andreas, erhält den Zuschlag für seine Firma Nestlé & Anglo-Swiss Condensed Milk Company. Das Haus ist auf 36'300 Franken geschätzt, mit dem Wirtschaftsmobiliar und den Pfandrechten kommt die konkursamtliche Schatzung auf 46'100 Franken. [38] Für die Gant setzt die Nestlé & Anglo-Swiss einen «Herr Fr. Steiger aus Hagendorn» als Strohmann ein. Dieser verpflichtet sich vertraglich, die Liegenschaft zu ersteigern und zum Selbstkostenpreis der Nestlé & Anglo-Swiss weiter zu verkaufen. [39]
Die Pages haben offenbar die Nase von der nahen Gastwirtschaft voll; sie erneuern das Wirtepatent nicht mehr – und der «Schlüssel» wird fortan ausschliesslich als Wohnliegenschaft genutzt.
Würdigung
Der dreigeschossige Riegelbau steht an prominenter Stelle und ist von zwei Seiten her gut einsehbar. Die lange Zeit, welche die Liegenschaft als Gastwirtschaft ein quasi öffentliches Gebäude war, sind vorüber, aber aufgrund der guten Lage nachvollziehbar.
Der Wirtshausnamen «Schlüssel»
Das schweizerdeutsche Wort Schlüssel m. kommt als Haus- oder Wirtshausname oft vor. [40] Die Schlüssel sind das Attribut des Apostels Petrus (sowie auch ein Symbol für die Vormachtstellung des Papstes in Rom als Nachfolger des Apostels und Stellvertreters von Jesus Christus auf der Erde). In der nahe gelegenen Kapelle St. Andreas ist auf den spätmittelalterlichen Wandmalereien der Apostel Petrus mit Schlüssel und Buch abgebildet. Der kurze, aber knackig steile Strassenabschnitt vom Strandbad hoch zum Schloss St. Andreas heisst Schlüsselrain (ursprünglich Städtlirain). [41]
Inserate
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 4, S. 217. Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 118
- ↑ Pfarrarchiv / Kirchgemeindearchiv Cham-Hünenberg, A 1/24
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868). Vgl. Anmerkung 1 (Dittli), Bd. 4, S. 217
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 09.05.1846
- ↑ Ein «Grümpelschiessen» ist ein kleines Schützenfest, bei dem um allerlei zusammengebettelte, auch von den Schützen beigesteuerte kleine, wenig wertvolle Gegenstände geschossen wird. Schweizerisches Idiotikon, Bd. 8, S. 1444, G(e)rümpelschiesset, G(e)rümpelschiesseⁿ
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 21.09.1850
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 25.01.1581
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 28.01.1854
- ↑ Zugerisches Kantonsblatt, 03.07.1858
- ↑ Amtsblatt für den Kanton Zug, Nr. 10, 09.10.1858
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 11.02.1860
- ↑ Zuger Volksblatt, 30.07.1864
- ↑ Zuger Volksblatt, 18.02.1865
- ↑ Zuger Volksblatt, 07.10.1865
- ↑ Der Zugerbieter, 09.07.1867
- ↑ Zuger Volksblatt, 06.10.1869
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 14.10.1874
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 02.01.1875
- ↑ Zuger Volksblatt, 30.01.1875
- ↑ Zuger Volksblatt, 04.05.1878
- ↑ Zuger Volksblatt, 09.10.1880
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Steiner et al.), S. 163
- ↑ Zuger Nachrichten, 08.03.1893
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 07.07.1894
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 23.07.1895
- ↑ Zuger Nachrichten, 12.06.1895
- ↑ Orchester Cham-Hünenberg, Festschrift 1895–1995, Cham 1995, S. 5
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 11.08.1898. Inventarsteigerung durch die Gantbeamtung Cham am 13. Juli. Zuger Volksblatt, 12.07.1898
- ↑ Zuger Volksblatt, 14.01.1899
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Steiner et al.), S. 197
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 06.01.1908
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 01.07.1910
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 31.01.1912. Verfügung des Regierungsrats des Kantons Zug vom 30.03.1912
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 16.01.1913
- ↑ Staatsarchiv Zug, CD 27, Wirtepatente 1892–1918, Mappe Schlüssel, Gesuch vom 29.07.1913
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.4, Assekuranzregister Cham, 3. Generation (1929–1960), 1. Band
- ↑ Privatarchiv Adelrich Tresch, Cham, Steigerungsvertrag betr. Schlüssel-Liegenschaft, Zug, vom 06.09.1918
- ↑ Privatarchiv Adelrich Tresch, Cham, handgeschriebener Vertrag zwischen Fr. Steiger und Nestlé & Anglo-Swiss
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Dittli), Bd. 4, S. 217
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Dittli), Bd. 4, S. 217