Schönbrunner Heinrich (1498–1537)
Das Leben des Heinrich Schönbrunner war kurz, intensiv und facettenreich: Schönbrunner war Ratsherr in der Stadt Zug, Obervogt in der Vogtei Cham, Landvogt in der Grafschaft Baden, frommer Pilger nach Santiago de Compostela, aber auch ein aggressiver Raufbold. 1533 wurde er Schlossherr auf St. Andreas und liess die baufällige Burgruine zu einem repräsentativen Schloss umgestalten.
Stationen
1498 Heinrich aus dem Geschlecht der Schönbrunner wird in der Stadt Zug geboren. Seine Eltern sind der Zuger Ratsherr Heinrich Schönbrunner der Ältere (gest. 1528) und Anna Schell.
1515 In der Schlacht von Marignano kämpft Schönbrunner am 13./14. September als 17-jähriger an der Seite von tausenden eidgenössischen Soldkriegern gegen die Truppen des französischen Königs Franz I. (1494–1547). Es ist sein erstes Kriegserlebnis («was min erster zug») und er beginnt damit auch seinen autobiografischen Bericht. [1] Trotz der traumatischen Erfahrungen in Marignano – rund 9000 bis 10'000 Eidgenossen sterben auf dem Schlachtfeld – zieht Schönbrunner auch in den nächsten zehn Jahren immer wieder in den Krieg, meist nach Italien. Die Soldgeber wechseln: Einmal ist es Papst Clemens VIII. (1478–1534), einmal der französische König Franz I. oder der habsburgische Kaiser Karl V. (1500–1558). [2]
um 1520 Heinrich Schönbrunner heiratet Anna Iten (gest. 1541). Anna's Grossvater war Ammann Johann Iten (vor 1438–1506/1515) aus Ägeri, einer der führenden Zuger Politiker in der Zeit der Burgunderkriege. [3] Die beiden haben sicher drei Kinder. Zwei Söhne sterben 1528 und 1531 und nur eine Tochter – Anna – überlebt ihren Vater. [4]
1523 Heinrichs Vater Heinrich der Ältere ist zwischen 1487 und 1505 wiederholt Obervogt in der Vogtei Cham. In einem Marchumgang legt er zusammen mit dem amtierenden Obervogt Arnold Keiser, Heinrich Schönbrunner junior und weiteren abgeordneten Zuger Ratsherren die Grenze zwischen Cham und Hünenberg fest. Der schriftlich festgehaltene Grenzverlauf führt von Chämleten dem Wildenbach nach Enikon, dann nordostwärts über das Toggenhölzli und die Filderen nach St. Wolfgang, von dort über die Hueb in den Frauentalerwald («Frowentalerholtz») und weiter bis nach Wannhüseren («Wannenhüsseren») und in die Rüssschiessen. Die Grenzziehung wird im Verlauf späterer Jahrhunderte bestätigt und gilt auch heute noch. Vater Schönbrunner zieht seinen Sohn bei solchen wichtigen Amtsgeschäften bei. [5]
1525 Heinrichs Bruder Oswald, Hauptmann im Sold des französischen Königs, stirbt 1525 in Italien, kurz bevor es zur Schlacht von Pavia kommt, in der auch Heinrich – diesmal im Dienst der Franzosen – mitkämpft. Den Sieg trägt aber die Gegenseite – die vom habsburgischen Kaiser Karl V. angeheuerten Söldnertruppen – davon. In der Schlacht sterben rund 5000 Eidgenossen. [6]
1528 Heinrichs «vilgeliebter» Vater Heinrich der Ältere stirbt. [7] Wie sein Vater und sein Bruder Oswald [8] ist auch Heinrich junior ein erbitterter Gegner der Reformation. Vor allem die kritische Haltung der Reformatoren zu den Fremden Diensten wird er als Reisläufer im Dauereinsatz kaum goutiert haben (vgl. Auszüge aus seinen tagebuchartigen Notizen unten).
Als die reformierten Berner die Wallfahrt zum Volksheiligen Beatus unterbinden und dessen Reliquien in den Thunersee werfen wollen, begibt sich Heinrich Schönbrunner mit Gleichgesinnten in die Beatushöhlen und entwendet die Reliquien. Schönbrunner nimmt ein «gantzes Bein in einer Spannier Kappen [= kreisrund geschnittener Mantel oder Kleid mit Kapuze, aus Samt und Seide] mit» und übergibt den Knochen der Kirche St. Michael in Zug. [9]
1530 Nach dem Tod des Vaters rückt Heinrich in den Zuger Stadtrat nach. Als Zuger Standesgesandter nimmt er an gesamteidgenössischen Tagsatzungen und an Treffen der katholischen eidgenössischen Orte teil.
Am 2. Juli reitet Schönbrunner mit anderen Gesandten auf den Reichstag des Heiligen Römischen Reiches nach Augsburg. Heinrich ist beeindruckt von der Dimension des Anlasses und von der anwesenden Prominenz: «Das ich alda mein tag nie kein fürnemer vnnd grösser Herenn beieinander gesechen han. Dann es was ir Kaÿserliche Maÿestet [= Karl V.], jr Maÿestet bruoder Ferdinand I. (1503–1564), der König in Vngeren [= Ungarn], 46. Landtsfürsten als von Hertzogen, Graffen vnd anderen herren, dann ich mit dem König von Vngeren persönlich sprach gehalten han.» [10] Auf dem Reichstag erwirkt Schönbrunner einen Geleitbrief für seine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zum Grab des hl. Apostels Jakobus des Älteren.
1531 Mitten im Winter – an Maria Liechtmess (2. Februar) – bricht Schönbrunner mit Junker Niklaus von Meggen (vor 1497–1564) und mit weiteren Eidgenossen «zu dem heiligen Apostell vnnd Himelfürsten S. Jacob» auf. Über Einsiedeln, Solothurn, Dijon und Troyes erreicht die Reisegesellschaft am 22. Februar Paris, wo man eine dreitätige Pause einlegt («wir hattend gar bößes Wätter vnnd straß gehan, vnnd vnsere Roß gar müd warend»). Weiter geht die Reise über Orleans, Tours und Poitiers bis La Rochelle («rosschällen»), wo man am 17. März zusammen mit weiteren rund 300 Pilgern ein Schiff nach Nordspanien nimmt und schliesslich erfreut und beglückt das Ziel in Santiago de Compostela erreicht («vnnd ich gloub, welcher dahin köme zuo wallfarten, er vermein vor grosser fröudt er sie daheimen. Allso hand wir die fart mit Gottes Hilff verricht»). Auf der Rückfahrt gerät das Schiff im Golf von Biskaya in ein schlimmes Unwetter («ein grusam Wetter vnnd vngestümer Wind»). Schönbrunner ist überzeugt, nur dank der Hilfe von Gott und des heiligen Apostels Jakobus überlebt zu haben. Von La Rochelle geht es über Limoges, Lyon, Genf und Solothurn in die Heimat, wobei die Pilgerfahrt wiederum in Einsiedeln beendet wird. Schönbrunner ist am 23. April – nach elf Wochen und drei Tagen Reise – wohlbehalten zurück in der Stadt Zug. [11]
Im Jahr der Pilgerfahrt nehmen die Spannungen zwischen den katholischen und reformierten Orten innerhalb der Eidgenossenschaft zu. Schönbrunner zündelt hierbei an vorderster Front mit. [12] Im Herbst kämpft Schönbrunner auf der Seite der katholischen Orte am zweiten Kappelerkrieg, vermutlich als Hauptmann. Die Katholiken siegen, Schönbrunner gerät aber vorübergehend in Zürcher Gefangenschaft.
1532/1533 Im Alter von 34 Jahren erreicht Heinrich Schönbrunner sein höchstes politisches Amt. Die Zuger Landsgemeinde wählt ihn für zwei Jahre zum Landvogt der Grafschaft Baden. Als Landvogt setzt Schönbrunner die Religionsklauseln des Zweiten Landfriedens von 1531 durch, so etwa 1532 in Dietikon ZH, als die Bilder und Heiligenstatuen von den Reformierten aus den Kirchen und Kapellen geworfen werden. [13]
1533 Im November gelangt Landvogt Schönbrunner an die Bürgerschaft der Stadt Zug: Er möchte die inzwischen verfallene Burgruine von St. Andreas – den einstigen Sitz der Hünenberger – in der Vogtei Cham erwerben und er beabsichtigt, «das selbig Burgstall widerumb zu buwen und in eer zuo legen». Die Burgruine und der Baumgarten von St. Andreas gehen am 23. November an Schönbrunner, zudem gewähren ihm seine Zuger Ratskollegen eine Lieferung mit Kalk für den Wiederaufbau. Die Zuger stellen die Bedingung, dass die Burg ihnen im Kriegsfall als Stützpunkt offenstehen soll. [14]
1534 Schönbrunner saniert die Burg und macht ein Schloss daraus. Er lässt den charakteristischen Treppenturm erbauen, die Wände verstärken, Schiessscharten einbauen, Decken und Balken mit Malereien verzieren und den Haupteingang von der Südwest- auf die Nordseite verlegen. St. Andreas wandelt sich vom «Wehr- zum reinen Repräsentativbau». [15] Wie sein Vater amtet Schönbrunner nun auch als Obervogt in der Vogtei Cham.
1536/1537 Als 1536 der deutsche Kaiser und der französische König wieder Söldner anwerben, scheint Schönbrunner den Angeboten nicht abgeneigt gewesen zu sein, obwohl die Reisläuferei inzwischen in der Eidgenossenschaft verboten ist. Jedenfalls muss Schönbrunner vor der Obrigkeit einen Eid schwören, dass er sich nicht mehr anwerben lasse. Das kann sich Hitzkopf Schönbrunner natürlich nicht bieten lassen: Er rastet aus und wird handgreiflich. Im gleichen Jahr steht er gemäss Anklage an der Spitze eines Kommandos, das einen französischen Söldneranwerber überfällt und ausraubt. Das Mass ist voll: Der Zuger Stadtrat muss reagieren. In der älteren Forschungsliteratur wird mehrmals ein (nicht sicher belegtes oder inzwischen verschollenes) Urteil zitiert, dass der Zuger Stadtrat wegen Schönbrunners Verfehlungen das Schloss St. Andreas konfisziert habe. [16] Schönbrunner bestätigt das nicht mehr erhaltene Urteil des Stadtrats indirekt selbst: Im März 1537 bittet er die eidgenössische Tagsatzung, man möge den Einzug seines Vermögens rückgängig machen. Dazu kommt es aber nicht mehr: Heinrich Schönbrunner stirbt am 6. Juni, noch nicht einmal vierzig Jahre alt. [17]
Das Schloss St. Andreas geht an Heinrichs Neffen Georg Schönbrunner (gest. 1568), Ritter und Ratsherr.
Das «Tagebuch» von Heinrich Schönbrunner
Heinrich Schönbrunner hat tagebuchartige Aufzeichnungen hinterlassen. Seine Notizen gehören zu den ältesten erhaltenen Ego-Dokumenten im Kanton Zug. Ego-Dokumente sind Schriftquellen, in denen eine historische Person aus eigenem Antrieb und in schriftlicher Form über sich selbst, ihr persönliches Umfeld oder eigene Erlebnisse Zeugnis ablegt. Schönbrunner hat nicht regelmässig oder gar täglich geschrieben, sondern zu einem unbekannten Zeitpunkt während seinen letzten Lebensjahren ein bis zwei wichtige Ereignisse aus einem Jahr festgehalten.
Das Originalmanuskript Schönbrunners gilt als verschollen. Überliefert ist eine 45-seitige Abschrift aus dem Jahr 1630. Die Initialen «OW» am Schluss der Abschrift entschlüsselt die ältere Forschung mit «Oswald Wickart», damals angeblich Wirt im Gasthaus zur Krone in Zug. Der grosse Teil der Abschrift umfasst Einträge aus dem Leben von Heinrich Schönbrunner, zwei Seiten sind dem Leben seines Neffen Georg (um 1510–1568) gewidmet und eine kurze Notiz erwähnt den Brand im Benediktinerkloster Einsiedeln im Jahr 1577. Die Abschrift bleibt bis zum Tod von Maria Antoina Franziska Landtwing-Schönbrunner (gest. 1843), der letzten des Geschlechts, in Familienbesitz. Das Manuskript kommt in die Stadtbibliothek Zug und 2007 dann ins Staatsarchiv Zug. [18]
Was Söldnerhauptmann Schönbrunner von den Lehren der Reformatoren hält ...
In seinem Tagebuch schreibt Schönbrunner kritisch zur neuen Glaubenslehre: «Jnn der selbigen Zÿt [in den 1520er Jahren] kam ein nüwer Glaubenn jn Tütschlandt, das daruor niemalenn erhört ward, mitt mancherleÿ sachenn vnnd articklen, das gar grusamlich daruon ze schryben wäre, vnnd kam in etliche Ortt der Eÿdtgnosschafft. Jnsonderheit zum aller Erstenn gen Zürich: die tribend München [= Mönche] unnd Nunnen [= Nonnen] vß den klösteren, namen das selbig guott zuo ihren Handenn. Vf den hochen Donstag Anno [15]26 hannd sÿ die heilig Mäß gar abgestellt. Vnnd verwarffend das heilig Sacrament, schuttendts vs, vnnd vß den monstrantz vnnd kelchenn machtendts sy münntz, vnnd namend die Priester wyber, fiengend an einanderen zu touffen, das ein ellend läbenn was.» [19]
Wildes Söldnerleben in der Stadt Zug
Die vielen Kriegszüge, die damit verbundenen hohen Gewinne, aber auch der hohe Blutzoll und die Rivalitäten, bringen auch Unruhe an den Zugersee. Im Januar 1522 entsteht in Stadt Zug aus einem Freudenzug «mit drummen und pfyffen» der profranzösischen Partei eine üble Rauferei mit Vertretern der kaiserlichen Anhänger aus den Gemeinden Baar, Menzingen und Ägeri. Schönbrunner ist (natürlich) an vorderster Front mit dabei: «da stunden wir inen in wäg, allso das es ein wild leben gab, vnnd die Priester mit dem heiligen Sacrament darzwüschent lüffend.» Die Zuger Priester können den Tumult erst beruhigen, als sie mit der Hostie in der Monstranz zwischen die Raufbolde treten. [20]
Einzelnachweise
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 1
- ↑ Hess, Rudolf, Die zugerischen Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts, Zug 1951, S. 50–55 (mit ausführlicher Beschreibung der einzelnen Kriegszüge). Glauser, Thomas, Der Adlige, der Söldner, die Wohltäterin. St. Andreas und seine Besitzer, in: Zug Erkunden – Bildessays und historische Beiträge zu 16 Zuger Schauplätzen, Jubiläumsband Zug 650 eidgenössisch, Zug 2002, S. 79
- ↑ Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein Allianzwappen Schönbrunner-Iten am Schönbrunnerhaus in der Zuger Altstadt zu sehen. Im Kreuzgang des ehemaligen Zisterzienserklosters Wettingen sind bis heute zwei Wappenscheiben von Schönbrunner und seiner Frau Anna Iten erhalten geblieben. Henggeler, Fabian, «Das kein theil den andern übervorteilen solle» – Die wechselvollen Beziehungen zwischen der Stadt und dem äusseren Amt Zug, in: Der Geschichtsfreund 173, 2020, S. 75–90, hier S. 88f.
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 43
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.45, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 23v (1523)
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 15
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 43
- ↑ Heinrich Schönbrunners Bruder Oswald soll gemäss einem Zürcher Bericht 1523 in Zug folgende wenig schmeichelhafte Worte geäussert haben: «Wir sond ouch den Luterschen die oren und baggen schlitzen ... und si in das für werfen, die ketzer, und usbrennen.» Vgl. Anmerkung 2 (Hess), S. 56
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 18f.
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 26
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 37–42
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Hess), S. 61–64
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Hess), S. 65
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.179, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 44r (20.12.1533). Vgl. Anmerkung 2 (Glauser), S. 79
- ↑ Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 39. Vgl. Anmerkung 2 (Glauser), S. 80f.
- ↑ Stadlin, Franz Karl, Die Geschichten der Gemeinden Chaam, Risch, Steinhausen u. Walchwyl. Des ersten Theils zweiter Band, Luzern 1819, S. 74f., Anm. 16
- ↑ Überlieferung von Vetter Georg Schönbrunner: «Item min Vetter Landtuogt Houptman Heinrich Schönbrunner ist gestorben, den 6.ten Brachmonet im 1537». Staatsarchiv Zug, P P 200.135. Staub, Bonifaz, Hauptmann Heinrich Schönbrunner von Zug und sein Tagebuch (1500–1537), in: Der Geschichtsfreund 18, 1862, S. 222–224. Vgl. Anmerkung 2 (Glauser), S. 81f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Hess), S. 74–77
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 17
- ↑ Staatsarchiv Zug, P 200.135, S. 6f.