Papieriring 3, Kesselhaus
Heute wirkt das Kesselhaus der Papierfabrik mit seinen markanten Zwillingskaminen wie die Mitte des Fabrikareals; dabei stammt es in seiner jetzigen Erscheinung erst von 1957 und ersetzte einen Vorgängerbau. Die Kesselhäuser waren während Jahrzehnten die Energiezentrale für die energieintensive Papierproduktion.
Chronologie
1913 Die Papierfabrik Cham investiert in eine neue Papiermaschine Papiermaschine PM 3 und in eine neue Energieversorgung. Dazu erbaut sie ihr erstes Kesselhaus, in welchem die Energie mit Kohle und Schweröl produziert wird. Gekrönt ist das Gebäude mit dem charakteristischen Fabrikkamin aus 95'000 Backsteinen. Er ist 45 Meter hoch und wirkt als Blickfang des gesamten Fabrikareals. [1]
1949 Das Fabrikareal der Papierfabrik bekommt eine neue Energiezentrale, es erhält den Namen Velox-Gebäude (Ass.-Nr. 31i). Dies deshalb, weil darin ein Velox-Dampfkessel der Firma Sulzer mit Dampfturbine und ein Generator der Firma BBC Brown Boveri die Energie erzeugt. Die Dampfleistung beträgt 26 Tonnen pro Stunde bei einem Druck von 43 Atü. Für den Antrieb sorgen Kohle und Schweröl, was viel anstrengende und staubintensive Handarbeit bedeutet. [2] Dieses Kesselhaus steht dort, wo zuvor die zwischen 1873 und 1875 erbauten Arbeiterreihenhäuser (Ass.-Nr. 31g) standen. Die Architektur stammt vom fabrikeigenen Baubüro, die Statik betreut das Ingenieurbüro L. Simmen & P. Keller, Zürich.
Das Kesselhaus gliedert sich in unterschiedlich grosse Gebäudeteile, alle mit stark auskragenden Flachdächern versehen. Die Skelettkonstruktion besteht aus Eisenbeton, die an den Fassaden mit Zementsteinen ausgemauert ist. Grossflächige Verglasungen mit Metallrahmen und Sprossen verleihen dem Gebäude «ein beeindruckendes Gepräge». [3]
1950 Schon ein Jahr nach Inbetriebnahme der Energiezentrale ersetzt die Papierfabrik den Dampfkessel von Sulzer durch einen Elektrokessel von Brown Boveri. Die Leistung beträgt neu 10'000 Kilowattstunden. [4]
1957 Die Papierfabrik erweitert das Kesselhaus in Richtung Westen und versieht es mit den markanten Zwillingskaminen, welche die zwei Strahlungskessel entlüften. Die Umsetzung erfolgt mit Unterstützung des Ingenieurbüros P. Keller & E. Würmli aus Zürich. In den Heizkesseln wird Wasser zu Dampf von einer Temperatur von 435 Grad und 40 bar Druck umgeformt. Dieser wird auf eine Dampfturbo-Generatorengruppe geleitet, produziert dort Strom und wird zudem als Prozessdampf für die Papiertrocknung verwendet. [5]
1962 Weil die Energieversorgung nun über das neu erbaute Kesselhaus läuft, ist das alte Kesselhaus mit dem Fabrikkamin überflüssig. Deshalb wird dieser am 7. Juni gesprengt, abends um 18.30 Uhr und von der Chamer Bauunternehmung Reggiori fachgerecht durchgeführt, in Zusammenarbeit mit dem Beratungsbüro des Schweizerischen Sprengstoffsyndikats. [6]
1968 Obwohl erst gut zehn Jahre alt, müssen die beiden 20 Meter hohen Kamine ausgewechselt werden. Dies geschieht mit einem fahrbaren Kran, die einen 50 Meter langen Ausleger hat. Für Demontage und Montage brauchen die Fachleute nur gerade vier Stunden. [7]
1992 Die Papierfabrik stellt die Dampferzeugung von Kohle und Schweröl auf umweltfreundlicheres Erdgas um. Zuerst prüft man eine Umstellung auf Propangas, doch der Bahntransport der Gaszisternen wäre zu gefährlich gewesen. Nur noch bei Engpässen oder Lieferunterbrüchen gibt es ein Reserve-Versorgungsystem mit Leichtöl. [8]
2008 Der Velox-Dampfkessel mit Dampfturbine im älteren Gebäudeteil wird ausgebaut; die beiden Strahlungskessel von Sulzer, seit 1959 in Betrieb, versorgen weiterhin das Gelände mit Energie. [9]
2019 Das Kesselhaus ist nicht mehr als Energiezentrale in Betrieb, behält aber seinen Charakter als «aktives, identitätsstiftendes Wahrzeichen der Papieri». [10]
2024 Das Kesselhaus mit seinen attraktiven, grossen Innenräumen wird bis 2026 saniert und umgebaut. Beauftragt mit der Umsetzung sind die ARGE Boltshauser / Gmür Tammaro Architekten, Zürich. Die beiden markanten Kamine werden temporär rückgebaut und später wieder auf das Gebäude gesetzt. Die Cham Group AG plant für das Gebäude eine gemischte Nutzung: Das Erdgeschoss und der Ostteil sind für die Gastronomie reserviert, im Erdgeschoss des Westteils soll künft eine Brauerei Bier produzieren. In den Obergeschossen des Westteils sollen Büroflächen entstehen. [11]
Das Kesselhaus ist im Inventar der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham aufgeführt. [12]
Funktion
Als Kesselhaus bezeichnet man ein Gebäude, in dem ein Dampfkessel mitsamt seiner Feuerung aufgestellt wird. Auch das Kesselhaus der Papierfabrik Cham liegt in unmittelbarer Nähe zu den Papierhallen, wo sich die mit dem erzeugten Wasserdampf angetriebenen Papiermaschinen befinden.
Architektonisches Kennzeichen eines alten Kesselhauses ist mindestens eine verglaste Seitenfront, damit im Falle einer Verpuffung aus dem Kessel oder aus der Feuerung nicht gleich das gesamte Gebäude zerstört wird, sondern nur die zugehörigen Fensterscheiben. [13]
Die Kamine
Die markanten Doppelkamine auf dem Kesselhaus stammen von 1957. Sie sind 20 Meter hoch.
Jeder Kamin besteht aus zwei Rohrstücken von 10 Metern Länge und 3000 Kilogramm Gewicht. Der Durchmesser beträgt 1600 Millimeter. Die Kaminkrone liegt 42 Meter über dem Fabrikareal. [14]
Filmdokument
José Keller, Verantwortlicher Kesselhaus, und Alfred Heer (*1941), Lehrling von 1957 bis 1961, werden zum Kesselhaus befragt. Dazwischen ein Ausschnitt aus dem Film «Wir besuchen die Papierfabrik Cham», um 1968
Fotogalerie
Blick in das Innere des Kesselhauses, 2023
Visualisierungen für die Umnutzung, 2019
Würdigung
Das Kesselhaus hat architektonisch eine zentrale Funktion auf dem Fabrikgelände. Er wirkt als identitätsstiftendes Gebäude und weist gestalterisch auf die Bedeutung der Energieerzeugung für die Papierproduktion hin, in dem es einen Auftritt hat wie eine Kathedrale der Energie.
Viola Müller (*1966), Architekturhistorikerin und Gutachterin für die kantonale Denkmalpflege, meint zum Wert des Gebäudes: «Nach Abbruch des Hochkamins und des Schwefelturms bildet das zeichenhafte Kesselhaus das weit herum sichtbare Wahrzeichen der Fabrik. Ihm kommt grosse wirtschaftsgeschichtliche und ortsbildende Bedeutung zu. Die in zwei Etappen entstandenen Gebäudeteile bilden eine Komposition von Kuben, die je von einem stark auskragenden Flachdach gedeckt sind und Architekturelemente aufweisen, die an sakrale Bauten erinnern. Architekturgeschichtlich ist es insofern bedeutsam, als das die Elemente wie die Skelettkonstruktion in Eisenbeton, die Ausfachungen mit Zementsteinen und die grossflächigen Verglasungen, die im ganzen Fabrikareal in unterschiedlichen Ausformungen vorkommen, zeitgemäss in der Architektursprache der 1950er Jahre umgesetzt ist.» [15]
Situation
Karte
Einzelnachweise
- ↑ Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 115
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 89
- ↑ Müller, Viola, Die Papierfabrik Cham. Baugeschichte und Detailinventar, Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Zug 2014, S. 50
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 89
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 89
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 115
- ↑ Hauszeitung Papierfabrik Cham AG, Nr. 24, 1968
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 89
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Müller), S. 50
- ↑ Bucher Bründler Architekten, Studienauftrag, Überarbeitung Kesselhaus, 2019
- ↑ www.zentralplus.ch [News- und Community-Plattform für Luzern und Zug], 09.01.2024
- ↑ Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Verzeichnis der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham, Grundstücknummer 3364 [Stand: 15.05.2024]
- ↑ Gemäss Wikipedia, Kesselhaus [Stand: 13.01.2023]
- ↑ Hauszeitung Papierfabrik Cham AG, Nr. 24, 1968
- ↑ Vgl. Anmerkung 3 (Müller), S. 51