Gretener, Schwester Maria Vinzentia (1820–1862)

Aus Chamapedia

Portrait fehlt

Es ist kein Portrait dieser Person verfügbar.

Namens­zusatz: Sr.
Vorname: Schwester Maria Vinzentia
Nachname: Gretener
Geschlecht: weiblich
Abweichende Namensform: Verena (ziviler Vorname)
Geburts­datum: 21. Juni 1820
Geburt­sort: Cham ZG
Todes­datum: 21. September 1862
Todes­ort: Steinerberg SZ

Schwester Maria Vinzentia Gretener trat als junge Frau ins Kloster Baldegg ein. Als ihr Wunsch nach einem Klosterleben mit ewiger Anbetung in immer weitere Ferne rückte, sagte sie sich zusammen mit einer Mitschwester von Baldegg los und wurde zur Mitbegründerin des Klosters Maria Rickenbach NW. Nach einen Zerwürfnis verliess sie Rickenbach und baute im Steinerberg ein Exerzitienhaus auf. Auch dabei war sie ziemlich glücklos.



Stationen

1820 Christina Gretener wird am 21. Juni in Cham auf dem Bauernhof Spiess im Städtli geboren. [1]

Sie ist eines von 14 Kindern von Maria Anna und Alois Gretener-Grob (1770–1853). [2] Zwei ihrer Schwestern werden auch Ordensfrauen. Ihre Brüder Alois (1803–1889), Karl (1809-1881), Heinrich (1810–1838) und Mathias (1818–1898) nehmen in Cham bedeutende Stellungen als Gemeinderäte, Gemeindeschreiber und Richter ein und sind auch in der kantonalen Politik aktiv. Alois und Mathias sind in der Sonderbundszeit führende liberale Opponenten in der konservativen Zuger Regierung. [3]

Christina, eine talentierte Schülerin, besucht die Schulen in Cham. Nach Ende der Schulzeit besorgt sie den Haushalt eines Bruders. Dieser versucht sie von ihrem Wunsch abzubringen, ins Kloster zu gehen. [4]

1840 Ihre Eltern ermöglichen ihr mit zwanzig Jahren den Eintritt in das Schwesterninstitut Baldegg LU. Krankheitshalber muss sie das Noviziat unterbrechen und hält sich eine Zeitlang zur Erholung im Pfarrhaus in Root LU auf. Der dortige Pfarrer Jost Egli (gest. 1859) soll sie wie eine Heilige verehrt haben. Dort soll ihre Neigung gefördert worden sein, sich selbst zu überschätzen. [5]

um 1841–1850 Christina Gretener tritt erneut ins Institut «Genossenschaft der armen Dienst- und Lehrschwestern von der göttlichen Vorsehung bei St. Jodok zu Baldegg» ein und erhält den Namen Vinzentia. Sie wird rasch zu wichtigen Ämtern herangezogen: sie ist zuerst als Lehrerin und Verwalterin, dann als Novizenmeisterin tätig und wirkt, als die Oberin, Sr. Theresia, zur Übernahme der Armenanstalt nach Engelberg OW geschickt wird, als deren Stellvertreterin in Baldegg. [6]

1850 Da sich Vinzentia über die Anweisungen des Institutsleiters Josef Leonz Blum (1786–1859) hinweggesetzt hat, muss sie Baldegg verlassen. Sie wird als Vorsteherin des Waisenhauses nach Engelberg geschickt. [7]

Schwester M. Vinzentia Gretener und und ihre Mitschwester M. Gertrud Leupi (1805–1904) sind in Engelberg tätig, Gretener als Oberin im Armen- und Waisenhaus, Leupi als Lehrerin an der Mädchenschule. Sie fordern mehrmals vergeblich die Einführung einer ewigen Anbetung. Dies führt zu einer zunehmenden Entfremdung zum Mutterhaus in Baldegg. [8]

1853 Am 8. April erlässt die Luzerner Regierung den dritten und endgültigen Aufhebungsbefehl gegen Baldegg. Damit rückt der Wunsch nach ewiger Anbetung in weite Ferne. [9]

Im Frühsommer hat Sr. Vinzentia Gretener gesundheitliche Probleme. Der Arzt rät ihr zu einer Luftveränderung in Maria Rickenbach NW. Begleitet wird sie von Sr. Gertrud. Maria Rickenbach ist seit der Reformationszeit ein Wallfahrtsort. Insbesondere für Sr. Gertrud ist dieser Besuch ein Schlüsselerlebnis. Die beiden Frauen hegen schon länger den Plan, ein kontemplatives Kloster zu gründen. [10]

1854 Die Schwestern von Engelberg trennen sich im Mai von der Schulkongregation Baldegg. [11] Sie glauben unter benediktinischer Leitung ihre angestrebte Lebensform eher verwirklichen zu können und unterstellen sich Plazidus Tanner (1797–1866), Abt von Engelberg. Dieser bestimmt seinen Prior, Anselm Villiger (1825–1901) zu ihrem Superior und Beichtvater und ermöglicht ihnen die Weiterführung des Waisenhauses und der Schule in Engelberg, so dass die materielle Existenz der Frauen vorläufig gesichert ist. [12]

Die Aussichten für eine definitive Niederlassung und Klostergründung in Engelberg sind gering, da im Engelbergertal Widerstand gegen ein Frauenkloster entsteht. Als Pfarrer Fridolin Meyer, der Verwalter der Armenanstalt «Gauglera» in Rechthalten FR, mit dem Gesuch an die Frauen gelangt, die Betreuung seiner Anstalt übernehmen, sagen sie zu.

Im Spätherbst wird Gertrud Leupi mit einer Begleiterin nach Rechthalten entsandt. Ihnen folgten bis 1855 14 weitere Frauen, die in der Annahme, in Engelberg werde ein neues Frauenkloster errichtet, dort um Aufnahme ersucht haben, und die zur Unterstützung Leupis auf die «Gauglera» gewiesen wurden, wo sie auf ein klösterliches Leben vorbereitet werden sollen. [13]

1855 Im August wird Gertrud Leupi nach Engelberg zurückberufen und die Leitung der «Gauglera» an Vinzentia Gretener übertragen. [14]

1856 Sr. Vinzentia eröffnet am 20. März ein Noviziat und führt versuchsweise die ewige Anbetung ein, welche die Schwestern neben der Kranken- und Armenpflege zu verrichten haben. Im August hält Superior Anselm Villiger eine Visitation ab und ordnet die Wahl einer Frau Mutter an, aus der Vinzentia Gretener als erste Oberin hervorgeht. [15]

Da die «Gauglera» nicht der ideale Ort ist, bittet Sr. Vinzentia ihren Bruder Karl (1809–1881), nach einem geeigneten Haus Ausschau zu halten. Als mögliche Orte kommen das Waisenhaus in Jaun FR, das alte Schloss Monthey VS und St. Anna in Steinerberg SZ in Frage. Schliesslich beauftragt sie ihren Bruder, in Rickenbach nach einer geeigneten Wohnung zu suchen, obwohl für Sr. Vinzentia Niederrickenbach nicht der Ort der ersten Wahl ist. [16]

1857 Am 9. April legt Sr. Vinzentia in der Gnadenkapelle des Klosters Einsiedeln die einfachen Gelübde auf die Benediktinerregel ab.

Im August verlassen Vinzentia Gretener und die Mehrzahl der Schwestern die «Gauglera» und beziehen am 4. September als Provisorium das Bauernhaus «Stäfeli», das ihnen der Besitzer Karl Gut überlassen hat. Am 16. September beginnen die sechs Frauen mit der ewigen Anbetung in der Wallfahrtskapelle. [17] Als erste Vorsteherin wird einstimmig Vinzentia Gretener gewählt. [18] Die Gemeinschaft bekommt den Namen «Kongregation der Opferschwestern des dritten Ordens des heiligen Benedikt». [19]

1858 Schon bald erkrankt Sr. Vinzentia schwer. Superior Villiger stellt ihr Gertrud Leupi als Assistentin zur Seite. Darauf steigen die Spannungen im Konvent. Einige Schwestern folgen Gertrud Leupi, die ausschliesslich die ewige Anbetung ohne äussere Tätigkeit anstrebt. Vinzentia Gretener aber bleibt vom Ideal des religiösen «Doppelberufs» überzeugt. Zudem möchte sie das Kloster erweitern und Filialen gründen. Eine Visitation ergibt, dass die Mehrheit des Konvents Vinzentia Gretener nicht mehr als Oberin wünscht. Sie wird abgesetzt.

Sr. Gertrud Leupi wird die neue Frau Mutter. Diese setzt Vinzentias Nichte, Schwester Johanna Gretener (1837–1909), die eben die Profess abgelegt hat, als ihre Assistentin und Stellvertertreterin ein. [20]

Der Superior erlaubt Sr. Vinzentia und einigen Schwestern in die Gebäude des ehemaligen Klosters in der Au bei Steinen SZ zu ziehen. [21] Damit sind die Schwestern nahe beim Steinerberg, dem Ort, den man 1856 für die Klostergründung in Betracht gezogen hatte. Im Sommer und Herbst, als sich Vinzentia im Kloster Au aufhält, geht sie öfters nach Steinerberg in die Messe geht und nimmt dort an den Laienexerzititen des Jesuitenpaters Faller teil. Zudem hatte Vinzentia regelmässigen Kontakt zu den mehrheitlich aus dem Grossherzogtum Baden stammenden Kostbar-Blut-Schwestern, die in Steinerberg bis zu ihrer Ausweisung aus der Schweiz nach dem Sonderbundskrieg gewirkt hatten. [22]

Um Distanz zwischen alter und neuer Oberin zu schaffen und den Konvent neu zu orientieren, wird Vinzentia Gretener nach Greppen LU am Vierwaldstättersee geschickt, um vom dortigen Pfarrer im Klavierspiel unterrichtet zu werden, damit sie später die Orgel handhaben könne. [23] Dieser Musikunterricht ist sicher ein Vorwand, um Sr. Vinzentia von Maria Rickenbach fernzuhalten und sie auch von den Schwestern zu trennen, die mit ihr nach Steinen gezogen sind.

Im September reist Vinzentia mit Sr. Rosalia Häki zu ihrem Seelenführer Claudius Perrot (1805–1881) nach Einsiedeln. Gesprächsthema ist wohl die Errichtung einer Aussenstelle in Steinerberg. Seit etwa 1855 hat das Kloster Einsiedeln die Einrichtung eines Dritten Ordens für Laien erwogen. Perrot sieht in Vinzentia Gretener die Stifterin dieses neuen Ordens. Im Dritten Orden des hl. Benedikt soll eine Form der Ewigen Anbetung für Laien geschaffen werden, die sich mit dem Leben der Schwestern verbindet.

Schon in der «Gauglera» hatte Vinzentia vorgeschlagen, im Mutterhaus die kontemplative Anbetung zu leben und in den Filialen zusätzlich karitativ tätig zu sein. Superior Anselm Villiger hatte diesen Kompromiss als undurchführbar abgelehnt. Die sich in Steinerberg anbahnende Filiale gibt dieser Idee wieder eine Chance. [24]

Im Herbst zieht Sr. Vinzentia mit einer Mitschwester nach Steinerberg. Die beiden Frauen mieteten sich beim Sigrist Dominik Richli als Kostgängerinnen ein. Zu Beginn des Winters kommen auch die beiden Schwestern aus der Au nach Steinerberg, werden aber bald nach Maria Rickenbach zurückgerufen. Die Ansiedlung der Schwestern in Steinerberg soll nach dem Willen von Gertrud Leupi diskret vor sich gehen, möglichst wenig Verbindung mit Maria Rickenbach offenbaren und den Eindruck eines «Privatunternehmens» von Vinzentia Gretener vermitteln. [25]

1859 Nachdem Sr. Vinzentia von ihrer schweren Krankheit genesen ist, die sie an den Rand des Todes geführt hat, nehmen die Schwestern im Frühjahr die Aufgabe im Steinerberg in Angriff. Sie setzen den von den Kostbar-Blut-Schwestern eingeführten Anbetungsdienst fort und machen sich daran, den Dritten Ordens für Laien umzusetzen. Dies ist der Beginn des Exerzitienapostolats der Steinerberger Schwestern. [26] Die Filiale Rickenbachs im Steinerberg befreit Superior Villiger vom Problem, einen angemessenen Platz für Sr. Vinzentia und ihre Anhängerinnen zu finden. [27]

1860 Im Sommer erweitern die Schwestern ihre Basis in Steinerberg. Sie übernehmen die Gemeindeschule für Knaben und Mädchen und verbesseren damit ihre Einkünfte. Von Sigrist Richli erhalten sie vorübergehend drei weitere Zimmer, die ihnen erlauben, die wachsende Zahl von Hausgenossen unterzubringen. Im Haus leben Frauen, die darauf vorbereitet werden, dem Dritten Orden beizutreten, sowie arme Kinder, welche die Schwestern gegen Entgelt pflegen und unterrichten. [28] Am 6. Juni können sie in das Haus «zum Loch» umziehen. Die Finanzierung des Hauses ist schwierig. Schliesslich bürgt mit Barbara Hegner, eine junge Frau, die als Laiin im Haus lebt, für die zu zahlende Summe. [29] Sr. Vinzentia erkrankt erneut. Barbara Hegner beschreibt die Situation als desolat: «Sie [= Vinzentia] halte in ihrer Krankheit keine Ordnung im Essen und Trinken, überhaupt sei alles in Unordnung.» [30]

Im Oktober beschliesst Superior Villiger, die Steinerberger Niederlassung formell als Filiale von Maria Rickenbach zu errichten und Vinzentia Gretener als Vorsteherin abzusetzen. [31] Die Absetzung wird unter anderem mit den Schwierigkeiten beim Hauskauf begründet, die Vinzentia nicht meistern konnte. [32]

1510 Brief von Sr. Vinzentia Gretener 1861.png

handgeschriebener Brief von Sr. Vinzentia Gretener an Pater Karl Motschi von Mariastein vom 26. Februar 1861


1861 Am 1. Januar beginnt Vinzentia Gretener das «Tagbuch für die Opfer-Filial-Schwesterfamilie St. Anna am Steinerberg». Sr. M. Jodoka Villiger ist Hausvorsteherin, Sr. M. Vinzentia Gretener Gehilfin und Lehrerin an der Gemeindeschule und Sr. M. Aloisia Petermann Gehilfin für Haus und Schule. St. Anna in Steinerberg ist nun formell eine Filiale Maria Rickenbachs. [33]

Frauen und Mädchen besuchen die Steinerberger geistlichen Übungen in grosser Zahl. Bereits an den letzten Fasnachtstagen 1861 fanden sich 21 Töchter ein. An Ostern nehmen mehr als 100 Personen an den Exerzitien teil.

Die Filiale Steinerberg kommt nicht zur Ruhe. Sr. M. Jodoka Villiger wird eine zeitlang durch Barbara Hegner ersetzt. Sie steht der Filiale vor, ohne geweiht zu sein. Dies ist für Sr. Vinzentia schwer zu ertragen. [34]

1862 Am 20. Juni trifft Sr. Vinzentia in Einsiedeln für einen Erholungsurlaub ein, den ihre Oberin bewilligt hat. Sie ist so schwach, dass sie sich kaum auf den Beinen halten kann. Perrot bringt sie sie ins Kloster in der Au, wo sie von ihrer leiblichen Schwester gepflegt wird. Am 26. Juni erneuert sie in der Gnadenkapelle ihre einfachen Gelübde für ein weiteres Jahr.

Am 12. Juli kehrt Sr. Vinzentia nach Steinerberg zurück. Die wirren Verhältnisse dort haben sich nicht gebessert, das Wohlwollen ihr gegenüber sich nicht vergrössert. Dazu ist dort das Nervenfieber ausgebrochen. [35]

Anfang September erkrankt Vinzentia Gretener schwer. Sie gerät in ein Delirium und spricht wirr. In den Aufzeichnungen ist von Wahnsinn die Rede und davon, dass sie einem Familienübel zum Opfer gefallen sei. [36]

Am 21. September stirbt M. Vinzentia Gretener 42-jährig, am 23. September wird sie neben dem Beinhaus beerdigt. Ihr Bruder Karl ist dabei. Aus dem Kloster Maria Rickenbach nimmt niemand am Begräbnis teil. Am 20. Oktober kommt ihre Nichte Sr. Johanna mit zwei Schwestern und einer Novizin von Rickenbach doch noch zum Dreissigsten. Diese Reise dient aber auch dazu, das Inventar aufzunehmen, da die Absicht besteht, die Filiale Steinerberg zu schliessen. [37] Sr. Vinzentia wird auf dem Friedhof St. Anna bestattet. [38]

Vinzentias Tod

Claudius Perrot berichtet in seinen Aufzeichnungen von Vinzentias letzten Tagen: «Pater Johannes, der in Steinerberg Priesterexerzitien machen wollte, hörte, dass Vinzentia Gretener, die er von früher her kannte und schätzte, schwer erkrankt sei und mit dem Tode ringe. Gegen den Rat der beiden Steinerberger Geistlichen, die ihm versicherten, dass Sr. Vinzentia bewusstlos sei, machte er sich auf den Weg ins Schwesternhaus St. Anna. Auch die Vorsteherin, Sr. Jodoka, wollte ihn abweisen, weil die Kranke wahnsinnig sei und ausschlage. Der Priester bestand jedoch darauf, sie zu besuchen. Als die Schwester nachgab, folgte er ihr auf dem Fuss ins Krankenzimmer, anstatt, wie er aufgefordert worden war, zu warten, bis die Kranke hergerichtet wäre. Er fand Sr. Vinzentia, kaum bedeckt, erstarrt und wie leblos auf dem Fussboden liegend. Er befahl, sie sofort auf ihr Bett zu legen und etwas warme Milch zu bringen. Diese versuchte er ihr mit einem Löffel einzuflössen, was ihm erst gelang, nachdem er die Zähne der Erstarrten mit einem Kaffeelöffelchen auseinandergezwängt hatte. Sr. Vinzentia öffnete daraufhin kurz die Augen, atmete und kam etwas zu Kräften. P. Johannes sprach sie an und schlug ihr vor, den Englischen Gruss zu beten, sie solle ihm die Hand drücken, wenn sie einverstanden sei. Als er unter die Decke griff, um sie bei der Hand zu fassen, bemerkte er, dass ihre beiden Arme fest an ihren Leib und darüber hinaus beide Hände mit einem Strick zusammengebunden waren. Er gab Befehl, sie sofort loszubinden, und wiederholte seine Frage an sie. Darauf drückte ihm Sr. Vinzentia die Hand nicht nur, sondern presste sie, und der Priester hatte den Beweis, dass sie ihn verstanden hatte und bei vollem Bewusstsein war. Nach dem Gebet und dem Priestersegen konnte Sr. Vinzentia wieder leise reden und bat darum, beichten zu dürfen. Mit Hilfe des P. Johannes, der noch eine Stunde lang bei ihr blieb, legte sie eine Generalbeichte ab.»

«Die Wogen ihrer Gedanken wurden mit jedem Tage unruhiger u. aufgeregter: das merkte man an ihren Halbäußerungen, die wie blitzartig bald ironisch, bald im Tone des Vorwurfs, bald hochfahrend u. gebieterisch ihrem Munde entfuhren. Schallendes Gelächter ließ sich zwischendurch vernehmen. Die Blicke wurden schalkhaft u. wirr, die ganze Haltung der Person unruhig und fast drohend. Der Sturm brach endlich los: die Kranke war nicht mehr zu halten; sie schrie u. lärmte, daß man es draußen hörte, u. ihre nächste Umgebung dadurch in Schrecken gerieth. Es war die Tobsucht an ihr im höchsten Grade zum Ausbruch gekommen, so daß sie nur mehr im gespanntesten Wahnsinn sich gebehrdete u. sprach. Schw. Vinzentia war einem Familien-Uebel erlegen; ihre älteste Schwester [39], eine exemplarische Klosterfrau in der Au, starb nach wenigen Tagen daran. Eine jüngere Schwester wurde ebenfalls davon ergriffen, genas aber wieder. Selbst von ihren Brüdern blieben nicht frei davon. Vinzentia tobte aus durch mehrere Tage und fiel endlich völlig erschöpft, wie in eine tödtliche Apathie, in der sie wenig mehr sprach, jedoch die sie umstehenden Personen erkannte. Sie konnte die hl. Wegzehrung nicht mehr empfangen, wohl aber ertheilte ihr Hr. Kaplan Holdener, ihr Beichtvater, die letzte Oelung, nach welcher sie bald, unter seinen Zusprächen ins Ende fiel, u. mit dem letzten Athemzug ihre Seele Gott übergab. Vinzentia starb am 21 September dieses Jahres 1862 im 42ten Jahre ihres Lebens».


Würdigung

Die Chamer Klosterfrau Maria Vinzentia Gretener hatte grosse Pläne. Sie hatte klare Ideen und klare Vorstellungen vom gottgefälligen Leben und sie ist Konflikten nicht aus dem Weg gegangen. Aus den Überlieferungen geht hervor, dass sie wie einige aus ihrer Familie cholerisch veranlagt zu sein schien und manchmal unter Tobsuchtsanfällen (Manie) litt. [40]

Durch die Umbruchsphase in der Zeit des Sonderbundkriegs und der Aufhebung von Klöstern, wurde sie nach dem Bruch mit Baldegg zusammen mit Sr. Gertrud Leupi zur Begründerin des Klosters Maria Rickenbach. Ihr schwebte eine Art Doppelberuf für die Schwestern vor, d.h. die ewige Anbetung, verbunden mit der Betreuung von Armen und Kranken sowie Schulunterricht. Sr. Gertrud Leupi sah die ewige Anbetung als Hauptaufgabe, der sich die übrigen Betätigungen unterzuordnen hatten. Diese Frage hat die beiden Schwestern gespalten.

Obwohl Vinzentia Gretener Oberin war, konnte sich Gertrud Leupi durchsetzen, denn nach verschiedenen Abklärungen fiel die Wahl für eine endgültige Niederlassung auf den abgelegenen Wallfahrtsort Maria Rickenbach. [41]

Sr. Vinzentia hatte immer wieder mit der psychischen und physischen Gesundheit zu kämpfen. Nach einer Krankheit nur wenige Monate nach der Gründung von Maria Rickenbach wird sie abgesetzt und im gewissen Sinn exiliert.

Die Gründung der Filiale Steinerberg, welcher Sr. Vinzentia vorstand, war eine Notlösung des Superiors von Maria Rickenbach, um für sie nach dem Zerwürfnis mit Sr. Gertrud Leupi einen Platz zu finden.

Auch im Steinerberg ist Sr. Vinzentia kein Glück beschieden. Das Exerzitienhaus für junge Frauen des dritten Ordens gedeiht zwar schnell, aber weil Vinzentia wiederum mit ihrer Gesundheit zu kämpfen hat und den Betrieb nicht ausreichend regeln kann, wird sie schon bald wieder abgesetzt.

Villiger erwähnt die offizielle Errichtung der Filiale und die Funktion Sr. Vinzentias als Leiterin des Exerzitienhauses Steinerberg in seinen Aufzeichnungen mit keinem Wort. Sr. Gertrud Leupi vermittelt in ihrer Autobiographie das folgende schiefe Bild von Sr. Vinzentias Wirken im Steinerberg: «Von Steinerberg kam die Nachricht, dass Sr. Vorsteherin mehrere alte Jungfrauen aufgenommen hatte, damit sie die ewige Anbetung während des Tages und eines Teiles der Nacht einführen könne. Wir gaben die Zustimmung für einstweilen. Leider ging es nicht lange und es kamen Klagen von dort verschiedener Art. Da Warnungen nichts fruchten wollten, waren wir genötigt, daselbst eine andere Vorsteherin einzusetzen.» [42]

An anderer Stelle schreibt sie: «Der Sr. V. kündigte ich, dass sie dieses Jahr gehorchen lernen müsse, nahm bei ihr durchaus alle Erlaubnisse, die ich ihr früher gegeben, zurück, wies sie auch in den kleinsten Dingen an die Vorsteherin und empfahl ihr, durchaus keine Willkür sich zu erlauben.» [43]

Das sind deutliche Worte, die von einem tiefen Zerwürfnis zeugen. Bezeichnend ist, dass Leupi ihre ehemalige Weggefährtin nicht mit Namen erwähnt.

Am Begräbnis Vinzentias nimmt niemand aus Maria Rickenbach teil. Nur ihre Nichte Sr. Johanna, Stellvertreterin von Gertrud Leupi, reist zum Dreissigsten ihrer Tante in den Steinerberg.

Als Einziger widmet Claudius Perrot seiner geistlichen Tochter ein ausführliches und sehr persönliches Gedenken.

Einzelnachweise

  1. Sommer-Ramer, Cécile, Maria Rickenbach, Benediktinerinnen, in: Helvetia Sacra, Band III/1, S. 1848-1862
  2. Zuger Volksblatt, 11.10.1898
  3. Degler-Spengler, Brigitte, St. Anna in Steinerberg, Filiale des Klosters Maria Rickenbach, und ihre Gründerin Vinzentia Gretener, in: Der Geschichtsfreund 162, 2009, S. 216
  4. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  5. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  6. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  7. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848-1862
  8. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  9. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  10. Halter-Dirr, Marita, Schon 150 Jahre vorbei, in: Nidwaldner Kalender 148 (2007), S. 137–144. Nidwaldner Volksblatt, 12.10.1957
  11. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 212
  12. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  13. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862. Vgl. Anmerkung 9 (Halter-Dirr), S. 137–144
  14. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862. Vgl. Anmerkung 9 (Halter-Dirr), S. 137–144
  15. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862. Vgl. Anmerkung 9 (Halter-Dirr), S. 137–144
  16. Nidwaldner Volksblatt, 19.10.1957
  17. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862. Vgl. Anmerkung 9 (Halter-Dirr), S. 137–144
  18. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 213, http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Leupi,_Gertrud [12.07.2024]
  19. Cécile Sommer-Ramer: "Maria Rickenbach", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.08.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007483/2008-08-21/ [Stand: 12.07.2024]
  20. Nidwaldner Volksblatt, 10.09.1904. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  21. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 213
  22. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 214f.
  23. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 214. Nidwaldner Volksblatt, 23.10.1957
  24. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 218
  25. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 219
  26. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 219
  27. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 216
  28. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 221
  29. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 221
  30. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 225
  31. vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 225
  32. vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 227
  33. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 228–230
  34. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 231, 233
  35. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 248
  36. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 253
  37. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 255, 262. Zuger Volksblatt, 04.10.1862. Nidwaldner Volksblatt, 06.11.1957
  38. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862. Nidwaldner Volksblatt, 23.10.1957
  39. Sr. Antonia Gretener war nicht Vinzentia Greteners älteste, sondern ihre Zweitälteste Schwester, vgl. Degler-Spengler, Entstehung Maria Rickenbachs, S. 411
  40. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 253
  41. Vgl. Anmerkung 1 (Sommer-Ramer), S. 1848–1862
  42. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 230
  43. Vgl. Anmerkung 3 (Degler-Spengler), S. 240