Dialekt von Cham
Der Kanton Zug ist zwar klein, hat aber trotzdem keine einheitliche Mundart. Einige, z.T. markante sprachliche Unterschiede bestehen zwischen Cham und der Stadt Zug.
Grundsätzliche Überlegungen
Das Standardwerk der Schweizer Sprachgeografie, der Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS), basiert auf direkten Erhebungen, die in den Jahren 1939 bis 1958 durchgeführt wurden. Sie bilden die Mundart aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab, wobei man damals bewusst ältere Gewährspersonen befragt. Man will möglichst authentische Sprecherinnen und Sprecher finden. [1] Etwa jede dritte Schweizer Gemeinde wird ausgewählt, Cham ist nicht dabei, aber alle seine Nachbargemeinden. Trotzdem liegt genügend Material vor, um einige wichtige Merkmale des Dialekts von Cham zu beschreiben. Die wichtigste Grundlage bildet ein Artikel des Sprachwissenschaftlers und Dialektologen Peter Dalcher (1926–2010) von 1958. [2] Die im folgenden beschriebenen Merkmale beziehen sich also auf die Mitte des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit ist die berufliche Mobilität noch begrenzt und die Zuwanderung bewegt sich noch auf tiefem Niveau.
Zwei markante sprachliche Grenzen teilen den Kanton Zug in vier Gebiete
Zwei markante Isoglossen [= Linien auf einer Sprachkarte, die Gebiete gleichen Wortgebrauchs begrenzen] queren den Kanton Zug. [3] Eine ist die Hiatusdiphthongierung. In der Stadt Zug und in den Berggemeinden hat sich die alte mittelhochdeutsche Lautung erhalten, dort gilt schnyye, Blyyschtift, buue. Für die übrigen Zuger Gemeinden, darunter auch Cham, gilt schneie, Bleischtift, boue (vgl. Abbildung 1). [4]
Die zweite markante Isoglosse ist die Verdumpfungsgrenze (vgl. Abbildung 2). [5] In Cham, im übrigen Ennetsee, in Zug und Steinhausen spricht man Òòbig und Schtroos, während sich in Baar und in den Berggemeinden die alte mittelhochdeutsche Lautung erhalten hat, man spricht dort Ààbig und Schtraas. [6]
Die Verdumpfung der alten â-Laute liefert die Erklärung für die ortsübliche Aussprache des Ortsnamens Chom.
Der Merksatz mit den markantesten Merkmalen des Chamer Dialekts
Der folgende Merksatz zeigt die beiden markantesten Merkmale des Chamer Dialekts: [7]
- Cham: z Chòòm schnèits ùf d Stròòs
Im Vergleich dazu:
- Zug: Es schnyyt ùf d Stròòs
- Baar: Es schnèit ùf d Straas
- Ägeri: Es schnyyt ùf d Straas
Der Dialekt von Cham im Vergleich mit den Nachbargemeinden
Peter Dalcher publiziert 1958 zum 1100-Jahr-Jubiläum der Gemeinde Cham einen Artikel mit dem Titel «Zur Mundart von Cham». [8] Er stellt dar, wie sich der Dialekt der Chamerinnen und Chamer von jenem der Nachbargemeinden und Nachbarregionen unterscheidet. Sein Fazit ist bemerkenswert: Die markantesten Unterschiede bestehen in den 1950er Jahren zwischen Cham und der Stadt Zug. [9]
Einige Unterschiede zwischen Cham und der Stadt Zug
1. Unterschiede in den Lautungen
- Cham: schneie, boue, nòii Hüüser (neue Häuser), òii Mueter (eure Mutter), Chnöi (Knie)
- Zug: schnyye, buue, nüüi Hüüser, üüi Mueter, Chnüü
- Cham: Hëërz (Herz), ër (er), Mëërt (Markt), Chëës (Käse)
- Zug: Häärz, är, Määrcht, Chääs
- Cham: Wo gosch he? (Wo gehst du hin?), föfzää (fünfzehn), ned (nicht)
- Zug: Wo gosch hi?, füfzää, nid
- Cham: Söiffi, Säiffi (Seife),
- Zug: Söipfi
2. Unterschiede in der Flexion
- Cham: gloffe (gelaufen), broocht (gebracht)
- Zug: glauffe, brunge
3. Unterschiede im Wortschatz
- Cham: Ooremuschel (Mumpf), aarüste (Zitzen zum Melken vorbereiten), schinte (schälen)
- Zug: Ooremugerli, handle, schel(l)e
Einige Unterschiede zu Maschwanden ZH
1. Unterschiede in den Lautungen
- Cham: Stross (Strasse), schloo (schlagen)
- Maschwanden: Strass, schlaa
- Cham: ölf
- Maschwanden: elf
- Cham: Rügge (Rücken)
- Maschwanden: Rugge
2. Unterschiede in der Flexion:
- Cham: schlächti Zyte (schlechte Zeiten)
- Maschwanden: schlechti Zyte
Einige Unterschiede zu Hagendorn und Dietwil AG (Freiamt)
1. Unterschiede in den Lautungen:
- Cham, Hagendorn: ich
- Hagendorn, Dietwil: ech
- Cham: füfzg
- Hagendorn und Dietwil: föfzg
- Cham: brännt (Partizip II von brennen)
- Dietwil: brönnt
- Cham: Milch
- Hagendorn: Melch
- Dietwil: Möuwch
Einige Unterschiede zu Risch
In Risch gelten in den meisten Fällen die gleichen Lautungen und Formen wie in Zug.
- Cham: Herz
- Risch: Häärz
- Cham: gloffe
- Risch: glaufe
Fazit
Die Einflüsse aus allen Nachbarregionen auf den Chamer Dialekt sind sehr vielfältig. Betrachtet man die beiden sehr markanten Ost-West-Grenzen, die Hiatusdiphthongierung [10] und die Verdumpfung [11], so geht Cham eindeutig mit dem nördlichen beziehungsweise nordwestlichen Gebiet der Deutschschweiz. Cham geht oft mit dem Westen, z.B. Rauft (Stadt Zug: Rinde) für Brotrinde (vgl. Abbildung 3) [12], Zückerli (Stadt Zug: Zälti) für Bonbon [13], schinte (Stadt Zug: schele) für schälen [14] sowie faad (Stadt Zug: lugg) für wenig gesalzen. [15]
Bei anderen sehr markanten Ost-West-Gegensätzen geht Cham allerdings mit dem Osten. In Cham gilt der einförmige Plural (mir, ir, si singed) im Gegensatz zum zweiförmigen Typus (mir singe, ir singet, si singe), der in Teilen des Aargaus und Luzerns sowie weiter westlich üblich ist. Cham gehört auch zum Osten, wenn es um ein Leitwort der Dialektologie geht, das Rückentraggefäss für Milch. In Cham war Tause üblich, westlich der Reuss Bränte. Auch bei der Zibele/Bölle-Grenze für Zwiebel gehört Cham zum Bölle-Gebiet und damit zum Osten (vgl. Abbildung 4). [16]
Der Zuger Sprachwissenschaftler Peter Dalcher hat ein sehr treffendes Bild für den Dialekt von Cham geprägt. Er bezeichnet Cham als sprachlichen «Wetterwinkel». [17] An solchen Orten ist die Wetterdeutung bekanntlich schwer. Dalcher versteht den Wetterwinkel Cham wohl als Gegend, die ganz unterschiedlichen sprachlichen Einflüssen ausgesetzt ist. Die Chamerinnen und Chamer erkennen dies am ehesten daran, dass sie aufgrund ihres Dialektes selten als Chamerinnen bzw. Chamer erkannt werden, es sei denn, sie sprechen von Chom.
Karten aus dem Sprachatlas der deutschen Schweiz
Hiatusdiphtongierung, schneien mittelhochdeutsches î im Silbenauslaut vor Vokal [18]
Verdumpfung, Abend mittelhochdeutsches â [19]
Wortschatz, Brotrinde Bezeichnung des äusseren, härteren Teil des Brotes, der die Brotkrume umschliesst [20]
Einzelnachweise
- ↑ Zur Werkgeschichte: https://sprachatlas.ch/ueber-den-sds/werkgeschichte [Stand: 20.04.2020]
- ↑ Dalcher, Peter, Zur Mundart von Cham, in: Zuger Neujahrsblatt 1958, S. 52–67
- ↑ Bart, Gabriela, Sommersprossen oder Merzefläcke, Schneie oder Schniie?, in: Zuger Neujahrsblatt 2013, S. 38–51
- ↑ Christen, Helen / Glaser, Elvira / Friedli, Matthias (Hrsg.), Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz, Frauenfeld 2010, S. 232
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 216
- ↑ Haas, Walter, Die deutschsprachige Schweiz, in: Schläpfer, Robert (Hrsg.), Die viersprachige Schweiz, Zürich 1982, S. 92
- ↑ Vgl. Anmerkung 6 (Haas), S. 92
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Dalcher), S. 52–67
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Dalcher), S. 62
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 232
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 216
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 94
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 100
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 104
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 106
- ↑ Vgl. Anmerkung 6 (Haas), S. 81
- ↑ Vgl. Anmerkung 2 (Dalcher), S. 66. Ein Wetterwinkel ist eine Gegend in der Landschaft, in der die Gewitter entstehen. Schweizerisches Idiotikon: Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Begonnen von Friedrich Staub und Ludwig Tobler, fortgesetzt unter der Leitung von Albert Bachmann, Otto Gröger, Hans Wanner, Peter Dalcher und Peter Ott. Frauenfeld 1881ff., Bd. XVI, Spalte 694
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 232f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 216f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Christen / Glaser / Friedli), S. 94f.