Alpenblick
Die Wohnüberbauung Alpenblick ist eine frühe Hochhaussiedlung, sie entsteht in den Jahren 1964 bis 1969 und wird vom Chamer Architekten Josef Stöckli entworfen. Sie gilt als erste Hochhaussiedlung des Kantons Zug und als Meilenstein in der jüngeren Architekturgeschichte.
Chronologie
1959 Der Viehhändler Jean Villiger (1905–1987) wohnt in einem kleinen Bauernhof mit Haus und Scheune namens «Alpenblick». Der Hof liegt westlich der Zugerstrasse. Villiger will sein Land auf der Ostseite der Strasse verkaufen und lässt eine Planskizze für den Bau von Einfamilienhäusern erstellen. [1] Die Einwohnergemeinde Cham lehnt die ersten Entwürfe mit zweieinhalbgeschossigen Bauten ab, weil diese sich gegenseitig und den Strassenbenützenden die Sicht auf den Zugersee verriegeln würden. Deshalb empfiehlt die Gemeinde, mit allen Grundeigentümern einen Plan für eine Gesamtüberbauung «für gehobenen Wohnungsstandard» zu erstellen. [2]
1961 Jean Villiger engagiert den Chamer Architekten Josef Stöckli (1929–2021). Dieser bringt den Vorschlag, die Parzellen mit einer Hochhaussiedlung zu überziehen, die locker gruppiert wird. Zehn Bauten mit maximal elf Geschossen werden in vier Gruppen gebündelt, so sieht es der Plan von Bauherr und Architekt vor. Zudem sei aufgrund der Nähe zum Naturschutzgebiet eine landschaftsverträgliche Gruppierung der Hochhäuser vonnöten. [3] Dies hatten bereits ein Jahr zuvor die Architekten Marti und Blum bei der Quartierplanung so geäussert. [4]
1964 Die erste Etappe der «Alpenblick»-Überbauung entsteht mit 100 Wohnungen. Die zweite, bis 1967 realisierte Etappe umfasst nochmals 120 Wohnungen. Für die Aussenfassaden wählt der Architekt bewusst rotbraunen Sichtbackstein aus. [5]
1965 Bei der Landschaftsplanung achten Architekt Josef Stöckli und Gartenarchitekt Adolf Zürcher (1934–2000) beim «Alpenblick» darauf, «den Baumbestand des Schlosses und des Strandbades im Baugebiet fortzusetzen». «Es liegt in unserer Möglichkeit, (...) dass die Häuser auch in der ungünstigsten Perspektive sich nicht als eine geschlossene Riesenwand zeigen, sondern allseitig in Grün eingebettet werden.» [6] Adolf Zürcher gestaltet die Umgebung mit Bäumen, Büschen und Rasenflächen und modelliert das Gelände mit künstlichen Erhebungen und Vertiefungen als Raumteiler zwischen den einzelnen Hochhäusern. [7]
1967 Die erste und zweite Etappe der «Alpenblick»-Überbauung mit den 250 Wohnungen ist bezugsbereit. Mit der Aussicht und der vielen Grünfläche sind die zahlbaren Wohnungen konkurrenzfähig. Dennoch bekommt die neuartige Siedlung im Volksmund den Übernamen «Chamer Manhattan» und wird, wie Bewohnende berichten, auch «etwas belächelt». Ein Bewohner erinnert sich: «Auch die Chamer schauten auf die Leute des Alpenblick etwas hinunter. Meine Familie und ich fühlten uns aber von Anfang an wohl hier.» [8]
1969 Die Kleinschulanlage Alpenblick für einen Kindergarten und eine erste Primarklasse wird eröffnet. Die Gemeindeversammlung hatte dazu 1968 zwei Kredite gesprochen: 300'000 Franken für den Sanitätsposten (unter dem Schulhaus) und 275'000 Franken für die Kleinschulanlage. [9] Mit neun Hochhäusern (zwei davon zusammengebaut) und dem Kleinschulhaus ist die erste Hochhaussiedlung des Kantons Zug fertiggestellt. Kinderspielplätze und ein Tennisplatz gehören zum Freizeitangebot, auf einigen Dachterrassen werden Dachgärten angelegt und sogar kleine Schwimmbäder installiert. [10]
1970/1971 Das Haus Alpenblick 2 wird vom Chamer Architekten Erich Weber (*1936) auf der Basis der Pläne von Josef Stöckli ergänzt. [11]
1980 Nordöstlich der Überbauung entsteht direkt an der Zugerstrasse ein Pumpwerk und eine Trafostation der Wasserwerke Zug. [12]
2006/2007 Die Liegenschaften Alpenblick 7, 9 und 10 werden im Innern saniert. Der einheitliche Charakter bleibt unangetastet. [13]
2008 An der Urne stimmen die Chamerinnen und Chamer am 30. November dem Bebauungsplan für die nördliche Erweiterung des Alpenblicks mit 2885 Ja- zu 1112 Nein-Stimmen deutlich zu. [14]
2010 Es folgt die Innenrenovation der Liegenschaft Alpenblick 12. [15]
2014 Zwischen der Überbauung Alpenblick und den Kantonsstrassen werden auf der nördlichen Seite des Areals zwei Hochhäuser mit 66 Apartments und Penthouses hochgezogen sowie ein weiteres Mehrfamilienhaus gebaut [16]: Sie heissen «One-One» und werden von der Heinz Häusler Real Estate Investment AG realisiert. Die Architektur stammt vom Zuger Dan Semrad. [17] Die Wohnungen kosten zwischen 1.39 und 4.42 Millionen Franken. Die beiden Hochhäuser werden mit einer neuen Einfahrt von der Zugerstrasse her erschlossen. [18]
2016 Die Denkmalpflege des Kantons Zug lässt die Überbauung inventarisieren und leitet nach einem Abbruchgesuch für die Liegenschaft Alpenblick 8 ein Unterschutzstellungsverfahren für die ganze Überbauung ein. [19]
2018 Der Regierungsrat des Kantons Zug will die Überbauung unter Denkmalschutz stellen. Dabei stützt er sich auf einen Antrag der Denkmalschutzkommission und auf ein Gutachten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege. Doch einzelne Eigentümer fechten den Entscheid vor Gericht an. [20]
2019 Bei der Revision des kantonalen Denkmalschutzgesetzes wird von einer «Lex Alpenblick» gesprochen, weil die Mehrheit im Kantonsrat Unterschutzstellungen von Bauten der jüngeren Architekturgeschichte wie dem «Alpenblick» inskünftig verhindern will. [21]
2024 Die Mehrfamilienhäuser Alpenblick 2-10 und 12 sowie das Kleinschulhaus (Ass.-Nr. 860a) sind im Inventar der schützenswerten Denkmäler der Gemeinde Cham aufgeführt. [22]
Würdigung
Der «Alpenblick» in Cham ist die erste Hochhaussiedlung im Kanton Zug. Auf Initiative der Gemeinde Cham finden sich mehrere Grundeigentümer und Bauherren für das Projekt zusammen. Auch wenn die Überbauung den Übernamen «Manhattan von Cham» [23] erhält, hat ihre Einbettung in die Landschaft ein besonderes Ensemble geschaffen. «So entstand eine Anlage mit hoher Wohnqualität, deren Entwurf bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. (...) Josef Stöckli hat mit seinen feinfühlig gestalteten Baukörpern eine attraktive Anlage gebaut, die in Zeiten wachsenden Interesses an Hochhausbauten Vorzeigecharakter besitzt.» [24]
Die Siedlung «Alpenblick» der 1960er Jahre zusammengefasst
- 250 Wohnungen
- 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen
- Kosten pro Quadratmeter: 540 Franken
- Nettowohnfläche: 25'000 Quadratmeter
- Ziel: «Ungestörtes Wohnen, gute Aussicht und Besonnung, parkartige Umgebung mit Fusswegen, nicht allzu hohe Zinsen (4-Zimmer-Wohnung ca. Fr. 400.-)» [25]
Die einzelnen Liegenschaften
- Alpenblick 2 (1971), 13-Familienhaus
- Alpenblick 3 (1969), 47-Familienhaus
- Alpenblick 4 (1965), 9-Familienhaus
- Alpenblick 5 (1968), 54-Familienhaus
- Alpenblick 6 (1965), 25-Familienhaus
- Alpenblick 7 (1966), 33-Familienhaus
- Alpenblick 8 (1967), 11-Familienhaus
- Alpenblick 9 (1966), 29-Familienhaus
- Alpenblick 10 (1965), 21-Familienhaus
- Alpenblick 11 (1969), Kleinschulhaus mit Zivilschutzanlage
- Alpenblick 12 (1965), 17-Familienhaus [26]
Beteiligte Firmen
Die wichtigsten Firmen, die am Bau der Überbauung Alpenblick von 1964 bis 1967 beteiligt waren:
- Josef Stöckli, Cham/Zug: Architektur
- Adolf Zürcher, Oberwil bei Zug: Gartenarchitektur
- Walter Ruprecht, Zürich; Weder, Prim & Schelbert, Zug: Ingenieurwesen
- Gottfried Baumgartner, Hagendorn: Glaserarbeiten, Innenausbauten
- Jakob Himmelrich, Cham: Parkett
- Emil Notter, Zug: Maler und Tapeziererarbeiten
- Metall Zug: Kücheneinbauapparate
- Verzinkerei Zug AG: Wasch- und Geschirrspülmaschinen
- Cesi Canepa, Cham: Licht- und Telefoninstallationen
- A. Brändle, Zug: Schreinerarbeiten
- E. Gärtner, Cham: Bodenbeläge in allen Wohnungen
- Dicht AG, Luzern: Baugrunduntersuchungen, Pfahlfundationen
- Leo Ohnsorg Söhne AG, Steinhausen: Fassadenverkleidungen, Fensterbänke
- H. Sieber, Luzern: Zimmerei und Treppenbau
- Emil Scherrer, Cham: Wand- und Bodenbeläge
- Th. Stalder, Zug: Spannteppiche, Vorhänge
- E. Tschümperlin, Walchwil: Wandplatten für Küche und Bad
- H. Manetsch, Zug: Sanitär
- Gebr. Hodel AG, Zug: Maurer- und Eisenbetonarbeiten
- Max Schmidli AG, Zug: Gipser [27]
Fotogalerie
Dokumente
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Stöckli, Josef, Werkgeschichte eines Architekten, Steinhausen 2017, S. 116
- ↑ Überbauung Alpenblick in Cham, in: Das Werk. Architektur und Kunst; Band 54, 1967, S. 296ff.
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Stöckli), S. 116
- ↑ Stöckli, Josef / Zürcher, Adolf, Überbauung Alpenblick in Cham, in: Anthos, Garten- und Landschaftsarchitektur 4, 1965, S. 25–27
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Stöckli), S. 121
- ↑ Vgl. Anmerkung 4 (Stöckli / Zürcher), S. 25
- ↑ Hanak, Michael, bewahrt – erneuert – umgebaut, Blick auf die Nachkriegsarchitektur im Kanton Zug, Zug 2019, S. 51
- ↑ Zentralschweiz am Sonntag, 03.02.2019
- ↑ Müller, Jakob, Chomer Schuelgschicht, (1. Teil bis 1977), in: Sonderausgabe Chomer Schuelbär 2, Cham 1984, S. 29
- ↑ Vgl. Anmerkung 7 (Hanak), S. 51, 54
- ↑ Vgl. Anmerkung 7 (Hanak), S. 54
- ↑ www.zugmap.ch, Eintrag Grundstücknummer 2394 [Stand: 04.01.2021]
- ↑ Vgl. Anmerkung 7 (Hanak), S. 54
- ↑ Zuger Zeitung, 26.01.2013
- ↑ Vgl. Anmerkung 7 (Hanak), S. 54
- ↑ Zugerstrasse 112, 114 und 116. www.zugmap.ch, Einträge Grundstücknummern 646, 2312, 2343 und 2344 [Stand: 04.01.2021]
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 20.09.2014
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 04.09.2014
- ↑ Vgl. Anmerkung 7 (Hanak), S. 54
- ↑ Zuger Zeitung, 10.12.2018
- ↑ Zuger Zeitung, 12.02.2019
- ↑ Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Inventar der schützenswerten Denkmäler der Gemeinde Cham, Grundstücknummern 348, 349, 1433, 1457, 1492, 1531, 1533, 1539, 1594, 1623 [Stand: 11.04.2024]
- ↑ Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Gemeinde, Cham 1995, S. 382
- ↑ Bauforum Zug (Hg.), Zuger Bautenführer. Ausgewählte Objekte 1902–2012, Zug 2013, S. 254
- ↑ Hochhäuser, Alpenblick Cham, in: Bauen + Wohnen, Heft 9: Wohnungsbau, Nr. 23, 1969, S. 330
- ↑ www.zugmap.ch, Einträge Grundstücknummern 348, 349, 1433, 1457, 1492, 1531, 1533, 1539, 1594 und 1623 [Stand: 04.01.2021]
- ↑ Luzerner Neuste Nachrichten, 05.12.1967