Burri-Scherrer Franz (1901–1987)

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Portrait von Burri-Scherrer Franz (1901–1987)
Portrait von Burri-Scherrer Franz (1901–1987)

Vorname: Franz
Nachname: Burri-Scherrer
Geschlecht: männlich
Geburts­datum: 26. Oktober 1901
Geburt­sort: Cham ZG
Todes­datum: 24. Juli 1987
Todes­ort: Lindau D
Beruf: Journalist, Buchhalter

Franz Burri wuchs in Cham auf, war Buchhalter und Journalist und machte als einer der führenden Schweizer Nationalsozialisten eine zweifelhafte Karriere. Er hoffte darauf, Gauleiter der Schweiz und damit eine Art Schweizer Landammann zu werden, in den Medien wurde er «helvetischer Goebbels» und «Totengräber der Heimat» genannt. Schliesslich verurteilte ihn das Bundesgericht nach dem Zweiten Weltkrieg zu 20 Jahren Zuchthaus.



Franz Burri beim Verlassen des Gerichts
Illustration aus dem Nebelspalter, 1942
Illustration aus dem Nebelspalter, 1944
Umschlag des Buches von Franz Burri
Porträt von Burri des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles


Stationen

1901 Franz Burri kommt am 26. Oktober in Cham zur Welt. Er ist der Sohn von Fabrikarbeiter Franz Burri (1860–1912) und von Emma (1865–1915), geborene Waser. [1] Er besucht die Schulen in Cham. Sein Vater arbeitet in der Kistenfabrik der Anglo-Swiss Condensed Milk Company.

1910 Die Familie Burri-Waser wohnt im Chamer «Seehof», also im Arbeiterquartier Städtli. Franz Burri senior ist vom Arbeiter zum «Aufseher» aufgestiegen. [2]

1912 Franz Burri senior stirbt am 10. März im Alter von 52 Jahren. [3]

1915 Auch Franz’ Mutter Emma Burri-Waser stirbt im Alter von 49 Jahren. [4] Franz Burri ist 14 Jahre alt, Vollwaise und kommt in die «Verpflegungs- und Erziehungsanstalt für arme Kinder» in Rathausen LU. Obwohl Anstaltszögling, darf Burri die Sekundarschule in Ebikon LU besuchen. Er ist ein guter Schüler und liebäugelt damit, ins Kloster einzutreten. [5]

1917 Wegen einer starken Lungenentzündung wird Franz Burri in die Klinik Adelheid in Unterägeri überwiesen. [6]

1918 Nicht einmal 18 Jahre alt, packt Burri seine Siebensachen in Rathausen und tritt der katholischen Laienkongregation der Schulbrüder in Strebersdorf in der Nähe von Wien bei.

1922 Franz Burri tritt aus dem Laienorden aus und arbeitet als Buchhalter bei der Wiener Lederfirma Winheim. Daneben schreibt er als freier Mitarbeiter für Lokalzeitungen. Auch dank einer Empfehlung des Schweizer Botschafters in Wien wird Burri Wiener Korrespondent der «Neuen Berner Zeitung». Um nicht mehr als Buchhalter arbeiten zu müssen und sich über Wasser halten zu können, arbeitet Burri als freier Österreich-Korrespondent für ein Dutzend Zeitungen aus Deutschland und aus der Schweiz. [7]

1925 Franz Burri schreibt als Journalist in Graz und wird «Generalsekretär des Zentralvereins der Österreichischen Zeitungsunternehmungen», also eine Art Verbandssekretär. Er organisiert 1. August-Feiern und leitet das Schweizerische Verkehrsbüro in Graz. [8] In dieser Zeit entwickelt sich Burri zum glühenden Anhänger der Nationalsozialisten, mit denen er «nur eine lose und in keiner Weise erforderliche Verbindung» hat. [9] Seine journalistische Tätigkeit wandelt sich mehr und mehr in eine nachrichtendienstliche, so dass er ins Visier der Polizeibehörden gerät.

1934 Nach der Machtergreifung von Adolf Hitler (1889–1945) in Deutschland wittert Franz Burri Morgenluft. Er schreibt «germanisch», propagiert die «Volksgemeinschaft», die «Kampfgemeinschaft» und fordert «Deutsches Nationalbewusstsein». Daraufhin weist Österreich Burri «wegen nationalsozialistischer Umtriebe» aus. Seine Frau Wilhelmine (1904–1967, eine geborene Scherrer) und seine Töchter Wilhelmine (achtjährig) und Isabella (sechsjährig) bleiben in Graz zurück. Aufgrund der Ausweisung zieht Burri in die Schweiz um und sucht eine Arbeit als Journalist und Redaktor. Doch sein Ruf ist ihm vorausgeeilt, so dass er keine Arbeit findet. [10] Stattdessen gründet Burri in Luzern mit deutscher Finanzhilfe die «Internationale Presseagentur» (IPA). Er beliefert die deutsche Presse und betreibt Nazipropaganda, unter anderem gegen Österreich, pflegt die Kontakte mit Schweizer Frontistenführern, ist aber selber in keiner Front aktiv. [11] «Machtstreben und Geltungsdrang zeichneten ihn schon damals aus.» [12]

1936 Burris Umtriebigkeit erregt Aufsehen; die Schweizerische Bundespolizei nimmt ihn ins Visier, hört sein Telefon ab und liest seine Briefpost, die er schon zu diesem Zeitpunkt stets mit «Heil Hitler!» unterschreibt. Er hetzt auch gegen die Juden, welche die «germanische Rasse« bedrohten. Das Honorar für den Betrieb seiner Presseagentur bezieht er direkt vom Propagandaministerium in Berlin. [13] Er erhält zwei Verwarnungen, weil er die völkerrechtlichen Beziehungen der Schweiz gefährde, zuerst von der Bundesanwaltschaft, dann vom Bundesrat, allerdings ohne scheinbare Wirkung. [14]

1937 Die Bundesanwaltschaft leitet ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren ein, gestützt auf das «Bundesgesetz betr. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom 8. Oktober 1936» sowie auf den «Bundesbeschluss betr. den Schutz der Sicherheit der Eldgenossenschaft vom 21. Juni 1935». [15]

1938 Der Bundesrat verbietet Burris «Internationale Presseagentur» (IPA). Burri orientiert sich um: Weil in der Zwischenzeit Österreich Teil von Nazideutschland geworden ist, kehrt er begeistert nach Wien zurück, wo er die IPA neu gründet.

1940 Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs gründet in Stuttgart mit anderen den «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» und wird dessen Führer. [16]

1941 Franz Burri agitiert in der Schweiz. Er wird Führer des «nationalsozialistischen Schweizerbundes». Zudem leitet er die illegale «nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz». Seine Gruppe gilt als radikalster der nationalsozialistischen Schweizerbünde: Sie stellt der schweizerischen Unabhängigkeit eine grossgermanische Einheitsidee gegenüber und übernimmt die Ideologie des Nationalsozialismus vollständig. Franz Burri publiziert die Denkschrift «Zur Lage in der Schweiz» und überreicht diese dem SS-Führer Heinrich Himmler (1900–1945), mit der Bitte, selber in die Waffen-SS aufgenommen zu werden. Gleichzeitig ist Burri tätig in der Gauleitung Niederdonau. [17] Mitte 1941 gelangt Burri mit der Forderung an den Bundesrat, es sei «die Hälfte der mobilisierten Schweizer Armee unter dem Oberstkorpskommandant Ulrich Wille für den Kampf gegen Sowjetrussland bereitzustellen», er will also die Schweizer Armee auf der Seite Hitlers Deutschland gegen Russland einsetzen. [18]

1942 Burri wird deutscher Staatsbürger und Mitglied der NSDAP. [19] Er agitiert mit Flugblättern gegen die Schweiz, die Helfer von ihm in die Schweiz schmuggeln und dort verteilen. Burri diffamiert Regierung, Parlament und Presse. [20]

1943 Die Flugblattkampagnen gegen die Schweiz führen zur Ausbürgerung von Franz Burri. Er verliert sein Schweizer Bürgerrecht. In Abwesenheit wird er wegen «Angriffen auf die Unabhängigkeit der Schweiz» zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. [21]

1944 Burri lässt weiterhin Flugblätter von Mittelsmännern in die Schweiz schmuggeln. Darin bezeichnet er General Henri Guisan (1874–1960) als «Landesverräter», «Juden- und Lügensöldling» sowie als «elenden Tropf». Zudem ruft er zur Gründung einer «Schweizerlegion» innerhalb der Waffen-SS auf. Er ruft offen zu militärischen Aktionen der Nazis gegen die Schweiz auf. [22] Burri wird erneut der Prozess gemacht: Diesmal wird er in Abwesenheit zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. [23] Weil er in Wien lebt, haben die Schweizer Behörden keine Möglichkeiten für einen Zugriff.

1945 Die Amerikaner verhaften Franz Burri am 11. Dezember und liefern ihn später an die Schweiz aus. [24]

1946 Im Mai wird Burri in St. Margrethen SG an die Grenze gestellt und in die Schweiz abgeschoben. Er wird inhaftiert und ihm wird der Prozess gemacht. [25]

1948 Der Prozess in Zürich gegen Burri und seine 40 Mitstreiter erregt schweizweit Aufsehen. Zeugen besagen, dass Burri auf den Posten eines Schweizer Gauleiters aspiriert habe, als «Landammann der Schweiz» – einer Schweiz notabene, die Nazideutschland einverleibt worden wäre. Der Hauptangeklagte Burri nutzt den Prozess, um sich vor Gericht und vor allem vor den Medien zu rechtfertigen: «Es ging mir lediglich um persönliche Ziele, um Ambitionen. Mein Kampf war nicht Selbstzweck. Er diente einer Idee, die ich noch heute als richtig empfinde – ich habe dafür gekämpft, wie jeder andere für seine Ideen kämpft. Ich hatte dabei weder materielle Gründe noch Vorteile. Unsere Kreuzzugsfahne gegen den Bolschewismus tragen heute die USA ..., die demokratische Schweiz wird zur nationalen Sozial-Demokratie.» Daraufhin schreibt der Journalist, Burri würde das «Landesverräterexamen mit dem Prädikat magna cum laude» bestehen. [26]

1949 Das Bundesgericht verurteilt Burri zu 20 Jahren Zuchthaus. Er bekommt damit die Höchststrafe. [27] Während elf Jahren sitzt er im Luzerner Gefängnis Sedel ein. [28] Er sagt selber dazu: Der Gerichtsentscheid sei ein «unblutiges Todesurteil. Das Leben verliert für mich seinen Sinn. (...) So gehöre ich in Zukunft zu jener grossen Armee, deren Soldaten namenlos bleiben, weil sie die Zukunft, zu früh in die Gegenwart einbauen wollten. Man kann die Söhne eines Landes nicht in Schurken und Heilige einteilen; sie trennen sich nur nach Meinungen – ein Teil ist Wahrheit und ein Teil ist Irrtum.» [29]

1956 Franz Burri nutzt die Zeit im Gefängnis, um Klageschriften zu verfassen. In einem Antrag an die nationalrätliche Petitionskommission klagt er gegen fünf Bundesräte, welche gegen das eidgenössische Verantwortlichkeitsgesetz verstossen haben sollen. Er kritisiert die angebliche Rechtsverweigerung. Die gleiche Behauptung hatte Burri schon früher erfolglos in Form einer Beschwerde an das Bundesgericht wegen Rechtsverweigerung gerichtet, um seither unentwegt den Bundesrat mit Haftentlassungsgesuchen zu bestürmen. «Die Behauptung Burris über die Unzulässigkeit seiner Übergabe an die Schweiz nach der Befreiung Österreichs von der deutschen Herrschaft entbehrt indessen jeder rechtlichen Begründung, weil der Landesverräter, juristisch betrachtet, seinerzeit überhaupt nicht ausgeliefert wurde. Die Sache verhielt sich so, dass Burri, der als hemmungsloser nationalsozialistischer Agitator im Jahre 1934 von der österreichischen Regierung des Landes verwiesen worden war, keiner Auslieferung mehr bedurfte, als ihn die amerikanischen Besetzungsbehörden am 11. Dezember 1945 in Oberösterreich, wo er sich unter falschem Namen versteckt hielt, verhafteten, um ihn am 31. Mai 1946 den schweizerischen Behörden zu übergeben.» [30]

1959 Burri kommt in den Genuss der vorzeitigen Freilassung, er nimmt Wohnsitz im deutschen Lindau. Er bleibt ein Verfechter des Nationalsozialismus bis zu seinem Tod und publiziert weiterhin in rechtsextremistischen Organen. [31] «Eines Tages werde auch ich von der Geschichte rehabilitiert», schrieb der unverbesserliche Nazi-Anhänger in einem Leserbrief an die Wochenzeitung «Die Nation». [32]

1987 Franz Burri stirbt am 24. Juli im Alter von 85 Jahren.


Würdigung

Der in Cham geborene Franz Burri wächst im «Seehof» im Chamer Städtliquartier auf. Es ist unheimlich, welchen Weg der junge Mann wählte. Dass er seine Kindheit und Jugend bis zum Alter von 14 Jahren in Cham verbrachte, hatte wohl wenig mit seinem späteren Wirken zu tun. Er gebärdete sich nicht nur vor und während des Zweiten Weltkriegs als glühender Nationalsozialist, sondern auch danach. Er blieb seiner rechtsextremen Gesinnung mit unverbesserlicher Sturheit treu. Zudem hatte Burri Glück, dass ihm nicht schon während des Zweiten Weltkriegs der Prozess gemacht wurde. Hier wusste er sich durch Auslandaufenthalte geschickt einer Verhaftung zu entziehen. Jedenfalls wurde während des Kriegs andere Schweizer auch zum Tode verurteilt, die viel weniger Verrat an der Schweiz begangen hatten.


Zeitungsartikel

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Aus der Serie «History reloaded» des Tages-Anzeigers: Der «helvetische Goebbels»; Autor: Dr. Michael van Orsouw, Zug, 6. Oktober 2018


Einzelnachweise

  1. Freundliche Mitteilung des Regionalen Zivilstandsamtes Wolhusen, 29.03.2018
  2. Steuerregister des Kantons Zug 1910, Zug 1910
  3. Freundliche Mitteilung des Regionalen Zivilstandsamtes Wolhusen, 29.03.2018
  4. Freundliche Mitteilung des Regionalen Zivilstandsamtes Wolhusen, 29.03.2018
  5. Zuger Presse, 22.07.2003
  6. Zuger Presse, 22.07.2003
  7. Zuger Presse, 22.07.2003
  8. Zuger Presse, 22.07.2003
  9. Zuger Presse, 22.07.2003. Stutz, Hans, Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933–1945, Luzern 1987, S. 116
  10. Zuger Presse, 22.07.2003
  11. Vgl. Anmerkung 9 (Stutz), S. 116
  12. Freiburger Nachrichten, 30.04.1948
  13. Wolf, Walter, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz 1930–1945, Zürich 1969, S. 89
  14. Freiburger Nachrichten, 15.04.1938
  15. Freiburger Nachrichten, 15.04.1938
  16. Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, Personenkarte
  17. Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, Personenkarte
  18. Vgl. Anmerkung 13 (Wolf), S. 97
  19. Knellwolf, Thomas, «Landesverräter», Schweizerische Nationalsozialisten vor Gericht 1946–1948, Lizentiatsarbeit Universität Zürich, Zürich 2002, S. 45
  20. Neue Zürcher Zeitung, 07.05.2018
  21. Zuger Presse, 22.07.2003
  22. Vgl. Anmerkung 19 (Knellwolf), S. 46
  23. Zuger Presse, 22.07.2003
  24. Vgl. Anmerkung 19 (Knellwolf), S. 46
  25. Freiburger Nachrichten, 03.06.1946
  26. Die Tat, 07.05.1948
  27. Vgl. Anmerkung 19 (Knellwolf), S. 106
  28. Zuger Presse, 22.07.2003
  29. Die Tat, 07.05.1948
  30. Walliser Bote, 21.02.1956
  31. Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, Personenkarte
  32. Zuger Presse, 22.07.2003